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Alfred de Grazia:
(Herausgeber)


Die Velikovsky Affäre


Livio C. Stecchini

Newton


Die Anschauungen der Renaissance über Leben und Welt lassen sich in dem Wort Wandelbarkeit zusammenfassen. Sie waren das Werk von Persönlichkeiten heroischen Formats, und man brauchte solche Persönlichkeiten, wenn sie erhalten bleiben sollten. Es ist schließlich nicht leicht, in einer Welt zu leben, in der Fortuna als alleinige Göttin herrscht, und wo es jenseits von Maß und Wahrscheinlichkeit keine Sicherheit gibt. Nach Freud entstehen Neurosen dadurch, daß wir mit den Gegebenheiten in einer Welt, von der wir nichts erwarten können, aufgrund unserer biologischen Benachteiligung und eines verkümmerten seelischen Wachstums, nicht fertig werden.

Einige zeitgenössische Denker bekamen Angst, denn der Relativismus und die Abkehr vom Zentralismus im Zeitalter der Renaissance zeigten sich nicht nur auf dem Gebiet der Astronomie, sondern auch in der politischen Theorie. Zudem verstärkten die geographischen Entdeckungen noch den Einfluß von Philosophen wie Macchiavelli und brachten die Lehre von der ethischen Relativität auf. In England läutete der Theologe Richard Hooker die Reaktion auf das Denken der Renaissance ein. Er glaubte, man könnte eine konservative Haltung damit rechtfertigen, daß man sich auf das Naturrecht berufe, das auf einer absoluten Vernunft und einem Gehorsam des Menschen gegenüber absoluten Normen beruhe. In seinem Werk Treative of the laws of ecclesiastical polity Bd. 1-4 1593; Bd. 5 1597) untersuchte er die damals gängigen Ansichten:

Wenn nun die Natur ihren Lauf unterbricht, und, wenn auch nur für kurze Zeit, ihre eigenen Gesetze nicht befolgt; wenn diese Grundelemente der Welt, aus denen alle Dinge hienieden bestehen, die Eigenschaften verlieren, die sie jetzt haben; wenn das Gewölbe des Himmels, das über unsern Häuptern errichtet ist, einstürzt; wenn die himmlischen Sphären ihre gewohnte Bewegung vergessen und sich unregelmäßig bald hierhin, bald dorthin drehen, wie es gerade kommt; wenn der Gebieter des Himmelslichts, der jetzt wie ein Riese unermüdlich seine Bahn läuft, sozusagen müde wird und anhält, um sich auszuruhen; wenn der Mond seinen vorgezeichneten Weg verläßt, die Jahreszeiten ihre geregelte Ordnung nicht mehr einhalten, die Winde nicht mehr wehen, die Wolken keinen Regen mehr spenden, die Erde nicht mehr unter dem Einfluß des Himmels steht, die Früchte der Erde verschmachten, wie Kinder an den vertrockneten Brüsten ihrer Mütter, die ihnen keine Nahrung mehr geben können, was wird dann aus dem Menschen, dem dies alles doch dient? Sehen wir nicht deutlich, daß der Gehorsam aller Kreatur gegenüber dem Naturrecht die ganze Welt aufrechterhält?

Er schlug die tröstliche Lösung vor, die Newton und alle Wissenschaftler, die ihm folgten, sich zu eigen machten:

Aber wie sehr auch der natürliche Ablauf dann und wann gestört wird, so werden doch die Gesetze der Natur von den Naturkräften so strikt eingehalten, daß keiner bestreiten kann, daß die Dinge, die die Natur bewirkt, entweder immer oder doch meistens auf ein und dieselbe Weise bewirkt werden.

Helene Metzger hat nachgewiesen, daß Newton bei der Entwicklung seiner Theorie sehr unter dem Einfluß dieses Geistes der Reaktion stand. Sie hat sicher recht, wenn sie die Gesamtwirkung von Newtons Werk so einschätzt, daß es »schnell zum Verbündeten dieser wohlanständigen und konformistischen Frömmigkeit wird [14]«; aber sie hat nicht im Detail erörtert, was Newton zu diesen konservativen Schlußfolgerungen gebracht hat, und auch nicht, wie sie sich technisch auf die Naturwissenschaften auswirken. Die Gaskammer von Auschwitz setzte ihren bahnbrechenden Forschungen ein Ende.

Einer der Vorläufer Velikovskys für seine generelle These einer katastrophenreichen Vergangenheit der Erde war William Whiston (1667-1752). Velikovsky bezieht sich in seinem Buch auf ihn. 1694, sieben Jahre nach dem Erscheinen der ersten Ausgabe der Principia, wurde Whiston, damals Fellow der Universität Cambridge, zu einem eifrigen Jünger Newtons, und zwei Jahre später gab er seinem Meister das Manuskript eines Buchs mit dem Titel New Theory of the Earth zu lesen. Das Buch sollte das damals populäre Werk Theory of the Earth von Thomas Burnet aus dem Jahr 1681 ersetzen. Es behandelte ein Thema, das Newton mehr als zwei Jahrzehnte beschäftigt hatte. Whiston behauptete, die Katastrophe, von der die Bibel als von der Sintflut berichtet, sei durch den Einschlag eines Kometen am Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. verursacht worden. Bis zur Sintflut habe das Sonnenjahr 360 Tage gehabt, aber der neue Kalender von 365 Tagen sei erst 747 v. Chr. von Nabonassar eingeführt worden. Die Behauptungen beruhten zum großen Teil auf historischem Material, während astronomische Überlegungen der Hauptgrund für die Annahme waren, aus Kometen könnten Planeten werden:

Dadurch, daß die Kometen in allen Richtungen die Bahnen der Planeten kreuzen . . . , können sie auf den Planeten zu Veränderungen riesigen Ausmaßes führen, besonders indem sie auf ihnen Überschwemmungen und Feuersbrünste verursachen, je nachdem, welche Umlaufbahnen die Planeten haben. Sie scheinen uns im Augenblick chaotisch zu sein oder in Unordnung geratene Welten, doch scheinen sie auch fähig, auf beinahe kreisförmige Bahnen zu gelangen, sich in ihnen festzusetzen und wie die Planeten bewohnbar zu werden. Aber diese Vermutungen bleiben weiteren Nachforschungen vorbehalten, wenn es dem göttlichen Ratschluß beliebt, uns darüber mehr zu erleuchten [15].

Newton war von Whistons Werk so beeindruckt, daß er von dem Augenblick an in eine enge wissenschaftliche Beziehung zu ihm trat. Das Buch wurde auch von anderen seiner Zeitgenossen hoch gelobt, unter anderem von John Locke. Zwei Jahre später widmete John Keill (1671-1721), Inhaber des nach Sir Henry Savile benannten Lehrstuhls für Astronomie an der Universität Oxford, der Bewertung von Whistons Hypothesen im Vergleich zu Burnets ein ganzes Buch, in dem folgendes Urteil steht:

. . . ich muß zugeben, daß Mr. Whiston, der geistreiche Verfasser der neuen Theory of the Earth, große Entdeckungen gemacht hat und nach philosophischeren Grundsätzen verfahren ist als alle Theoretiker vor ihm. In seiner Theorie sind einige zeitliche Übereinstimmungen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, daß ein Komet zur Zeit der Sintflut an der Erde vorbeigeflogen ist [16]

Keill hieß auch die Behauptung gut, daß vor diesen Katastrophen das Sonnenjahr 360 Tage gehabt habe, die in 12 Mondmonate zu je 30 Tagen eingeteilt waren.

1701 wurde Whiston von der Universität Cambridge zu Newtons Vertreter auf Zeit ernannt; als Newton 1703 seine Mathematikprofessur aufgab, empfahl er Whiston als seinen würdigen Nachfolger. Um 1713, als die zweite Auflage der Principia erschien, hatte sich Newtons Einstellung zu Whiston gründlich geändert. Als 1720 der Astronom Edward Halley (1656-1742) und andere Whiston zur Aufnahme in die Royal Society vorschlugen, drohte Newton, er werde den Vorsitz niederlegen, wenn die Mitglieder für Whiston stimmten. Whiston, der Newton sehr verehrte, schlug vor, seine Kandidatur zurückzustellen; er hatte den Eindruck, der alternde Newton werde dadurch so mitgenommen, daß er vielleicht sogar sterben würde.[17] Halley hatte schon eineinhalb Jahre vor der Veröffentlichung von Whistons New Theory of the Earth einen Vortrag vor der Royal Society gehalten, in dem er die Sintflut als den Einschlag eines Meteoriten erklärte. Er hatte ihn aber nicht veröffentlicht, »damit er sich nicht durch einen unbedachten Ausdruck einen Tadel der Heiligen Kirche zuziehe«. Auf Newtons Geste reagierte er damit, daß er 30 Jahre später eine Denkschrift in den Jahrbüchern der Royal Society veröffentlichte [18]. Wissenschaftshistoriker beschönigen diesen Zwischenfall, der aber sehr wichtig ist, wenn man die Entwicklung von Newtons Denken verstehen will. Nach 1710, als Whiston wegen Ketzerei die Professur verloren hatte und vor ein bischöfliches Gericht der anglikanischen Kirche gestellt wurde, wurde er in seinen Ansichten noch radikaler, und er überwarf sich schließlich mit Newton, der immer konservativer wurde.

Whiston stellte fest, man dürfe die Schöpfungsgeschichte im 1. Buch Moses nicht wörtlich nehmen, sondern als Hinweis auf einen in verschiedenen kosmischen Stufen sich vollziehenden Prozeß. Newton, der sich zunächst Whistons religiösen und wissenschaftlichen Ansichten gegenüber aufgeschlossen gezeigt hatte, schockierte dessen Radikalismus, und er zog sich auf eine fundamentalistische Haltung zurück. Die Schlußsätze von Opticks lassen erkennen, daß Newton, wie andere seiner Zeitgenossen, das Gefühl hatte, die Fundamente der Moral kämen ins Wanken, wenn man die traditionellen Ansichten über die Ordnung im Weltall aufgebe [19]. Außerdem befürchtete Newton, Whistons Hypothesen würden am Ende gar den theologischen Gottesbeweis eliminieren, den er für das Hauptargument für die Existenz Gottes ansah, nämlich die weise Anpassung der Natur an die Bedürfnisse alles Lebendigen, besonders des Menschen. In Opticks widerlegte er Whiston so:

Denn es geziemte sich für den, der sie (die Gestirne) schuf, sie zu ordnen. Und wenn er das tat, dann ist es unphilosophisch, nach irgendeinem andern Ursprung der Welt zu suchen oder zu behaupten, sie könnte nur durch die Naturgesetze aus einem Chaos heraus entstehen. Wenn sie erst einmal geschaffen ist, so kann sie durch diese Gesetze viele Generationen lang weiterbestehen. Während die Kometen sich überall im Universum auf exzentrischen Bahnen bewegen, so konnte kein blindes Schicksal bewirken, daß sich die Planeten in der gleichen Weise auf konzentrischen Bahnen bewegen, abgesehen von einigen unbedeutenden Unregelmäßigkeiten, die vielleicht von gegenseitiger Einwirkung von Kometen und Planeten aufeinander herrühren und die wahrscheinlich noch zunehmen werden, bis das System erneuert werden muß. In einem so wunderbar gleichförmigen Planetensystem muß man eine ordnende Hand sehe [20].

Während die erste Ausgabe der Principia von 1687 im wesentlichen von einem rationalistischen Geist getragen ist und einer positivistischen Methode folgt, stehen in der zweiten Ausgabe von 1713 theologische Fragen im Vordergrund. Newton will unbedingt beweisen, das, was die Welt in Gang hält, sei ein so vollkommen ausgeklügeltes System, daß es nicht auf einer »rein mechanischen Ursache« beruhen könne, sondern das Ergebnis eines intelligenten und konsequenten Plans sein müsse. Um die Geschichte aus dem 1. Buch Moses zu erhärten, die Welt sei in einem einzigen Schöpfungsakt entstanden, argumentiert er, die Welt sei seit ihrer Schöpfung stabil und unwandelbar. Das konnte er aber nicht beweisen, denn er räumte ein, daß nach seiner eigenen Theorie die Anziehungskraft zwischen den verschiedenen Planeten des Sonnensystems deren Umlaufbahnen beeinflussen müßte. Deshalb sah er es als erwiesen an, daß Gott in seiner Vorsehung von Zeit zu Zeit eingreifen und die Weltenuhr wieder stellen müsse. Diesen Teil von Newtons Lehre kennt man gut, denn er war die Zielscheibe ironischer Bemerkungen von seinem größten Konkurrenten auf dem Gebiet der Mathematik, Leibniz (1646-1716). Wie dieser bemerkt, halte Newton Gott nicht nur für einen Uhrmacher, sondern sogar für einen schlechten, der sein eigenes Werk immer wieder reparieren müsse [21].

Jean-Baptiste Biot (1774-1862), der Lieblingsschüler von Laplace, war mit seinem Lehrer der gleichen Ansicht, die zweite Ausgabe der Principia sei sehr anfechtbar. Er behauptete, Newton habe 1695 aufgehört, schöpferisch zu denken, und unterstellte, dies sei von seiner anderthalbjährigen Geisteskrankheit hergekommen [22]. Aber tatsächlich waren es religiöse Vorurteile, die ihn behinderten, und nicht geistiger Verfall. Der einzig erkennbare Beweis für einen seelischen Zusammenbruch, den Biot bringt, sind Newtons »infantile« Mätzchen bei der Behandlung der Affäre Whiston in Jahre 1714. Nach meiner Meinung liegt der Beweis dafür, daß Newton auf das religiöse Problem fixiert war, aber nichts von seiner geistigen Beweglichkeit verloren hatte, darin, daß die wenigen Zusätze, die in die dritte Ausgabe der Principia von 1726 hineingekommen sind, die Überzeugung deutlich machen, Gott offenbare sich nicht in der äußeren Erscheinung der Dinge, sondern in der Geschichte der Menschheit [23].

Es ist den Wissenschaftlern entgangen, wie wichtig Newton die Widerlegung Whistons war. In den Principia hielt er daran fest, daß Kometen keineswegs nur ein störendes Element seien, sondern sie trügen zu der von der göttlichen Vorsehung bestimmten Erhaltung der ursprünglichen Ordnung bei: Da eine bestimmte Menge Wasser auf der Erde durch chemische Verbindungen verbraucht werde, würde das Meer gar nicht in seinem ursprünglichen Zustand gehalten, wenn nicht neues Wasser aus dem Dampf der Kometen käme. Die Vorstellung des von der göttlichen Vorsehung bestimmten Zwecks der Kometen wurde zu Newtons Zeit noch weiter ausgesponnen: Die Kometen sind auch dazu da, der Sonne neuen Brennstoff zuzuführen, die sich sonst nach und nach selber aufzehren würde. Einer der bekannten Leute, die Newtons Ideen popularisierten, betont, die Kometen könnten diese von der göttlichen Vorsehung bestimmten Aufgaben erfüllen, aber ebendiese Vorsehung habe auch dafür gesorgt, daß sie nicht auf der Erde einschlagen sollten:

Weiterhin liegt der Grund, weshalb die Ebene, auf der sie (die Kometen) sich bewegen, nicht auf der der Ekliptik liegt, und auch nicht auf der der Umlaufbahnen der Planeten, klar auf der Hand; wäre es so gewesen, hätte die Erde unweigerlich mit den, Kometenschweifen in Berührung kommen müssen. Nein, die Möglichkeit einer Berührung oder eines Zusammenstoßes mit einem Kometen hätte zu oft bestanden; und wenn man bedenkt, welche Geschwindigkeit ein Komet dabei habe, so müßten beide sich gegenseitig zerstören. Die Bewohner könnten auch nicht überleben, wenn die Planeten zu oft in den Schweif eines Kometen eintauchten, wie dies der Fall wäre. Ganz zu schweigen von den Unregelmäßigkeiten und der Unordnung, die in den Bewegungen der Planeten und Kometen auftreten müßten, wenn ihre Umlaufbahnen auf der gleichen Ebene lägen [24]

Der Autor schließt sich hier der Argumentation Newtons an, für den die von der Vorsehung bestimmte Ordnung des Universums von den Kometen nützliche Eigenschaften verlangt. In Wirklichkeit stehen die Umlaufbahnen nur in einem kleinen Winkel zur Ekliptikebene, und eine Kollision ist nicht ausgeschlossen.

Newtons Biographen handeln sein Buch The Chronology of the Ancient Kingdom Amended (1728), die Frucht seiner letzten Lebensjahre, meist in wenigen Zeilen ab. Sie halten es für das Produkt einer belanglosen Nebenbeschäftigung, aber das Ziel war ganz klar eine Widerlegung von Whistons Hypothesen. Newton behauptet, es lägen Beweise dafür vor, daß das Jahr 887 v. Chr. 365 Tage gehabt habe. Obwohl diese Jahreslänge kaum vor diesem Datum »allgemein im Gebrauch« gewesen sei, sei sie doch so alt wie die ersten astronomischen Beobachtungen der alten Ägypter. Die Ägypter hätten allerdings erst sehr spät damit angefangen, nämlich im Jahr 1034 v. Chr. Der Hauptzweck des Buches ist der Nachweis, es habe vor den ersten Olympischen Spielen 776 v. Chr. keine verläßliche Geschichtsschreibung gegeben. Schon auf der ersten Seite steht, die antiken Legenden und Überlieferungen - auf sie hatte Whiston sich bei der Annahme einer durch einen Kometen verursachten Katastrophe gestützt - seien keine zuverlässigen Quellen.

Newton glaubte, man könne ohne eine Widerlegung Whistons seine Kosmologie, die er in dem berühmten allgemeinen Scholion der zweiten Ausgabe der Principia zusammenfaßte, nicht gutheißen. Aus diesem Grund schrieb er drei Monate nach Erscheinen der zweiten Ausgabe einen Aufsatz (er wurde nicht veröffentlicht, das Manuskript liegt im Britischen Museum), in dem er auf die Kritik William Lloyds (1627-1717), eines engen Freundes von Whiston, antwortete. Lloyd hatte seine Kritik damit begründet, die ältesten Kalender der Antike beruhten auf einem Sonnenjahr von 360 Tagen. Nach allem, was man von diesem Dokument weiß, scheint Newtons Antwort ziemlich lahm ausgefallen zu sein [25].

Er behauptete, wenn ein Kalender von 360 Tagen im Gebrauch gewesen wäre, ohne die Möglichkeit, die fünf fehlenden Tage einzuschieben, hätte sich innerhalb von 70 Jahren der offizielle Beginn der Jahreszeiten über das Jahr hin verschoben; von einem solchen Zyklus von 70 Jahren wisse man aber nichts, also könne es diesen Kalender gar nicht gegeben haben. Aber Whiston und Lloyd hatten ja gerade damit argumentiert, daß das Sonnenjahr etwa 360 Tage gehabt hat, und man einen Einschub deshalb nicht brauchte. Newton nahm von vornherein als bewiesen an, das Sonnenjahr habe zu allen Zeiten 365 Tage gehabt.

In den Werken Newtons ist die Lehre von der ewigen Stabilität des Sonnensystems deutlich als eine Annahme dargestellt, die sich nicht auf wissenschaftliche Daten, sondern auf den Glauben an eine gottgewollte Ordnung gründete. Aber die Flut von Popularisierungen, die die Theorien zur Schulmeinung des 18. Jahrhunderts machten, behaupteten, Newton habe den mathematisch-naturwissenschaftlichen Beweis für die wunderbare Ordnung geliefert, die er im Glauben angenommen habe. Carl L. Becker, der in The Heavenly City of Eighteenth Century Philosophers (1932) diese Entwicklung untersucht hat, kommt zu dem Schluß, die Philosophen der Aufklärung hätten zwar gemeint, sie seien antichristlich und sogar irreligiös, aber sie seien im Namen von Newtons Mechanik (nicht seiner Religion) zusammen mit ihm zu den Lehrsätzen mittelalterlicher Theologie zurückgekehrt. Seit dem 13. Jahrhundert hatte es ein solches Bündnis zwischen Glauben und Vernunft nicht mehr gegeben. Es war wieder möglich, zu den stets gleichbleibenden Bewegungen am Himmel seine Augen aufzuheben - Zeichen göttlicher Vollkommenheit und ewiger Gesetze. Wie Becker bemerkt, fanden Newtons Theorien beim gebildeten Publikum unmittelbar Anklang, denn »der Wunsch, mit der allgemeinen Harmonie in Einklang zu stehen, ist immer im Herzen des Menschen [26] «.

Jedes gute Geschichtsbuch enthält den Hinweis, die Newtonsche Astronomie habe eine religiöse Revolution ausgelöst. Newton wußte ganz genau, daß er die religiöse Ansicht von der » Übereinstimmung der Naturreligion mit der geoffenbarten« vertreten hatte. Die neue Religion hieß Theismus, und ihr Nizäisches Glaubensbekenntnis war das Allgemeine Scholion der Principia:

Die sechs primären Planeten bewegen sich um die Sonne auf Kreisbahnen, in deren Mittelpunkt die Sonne steht. Ihre Bewegungen verlaufen in gleicher Richtung und fast auf der gleichen Ebene. Zehn Monde bewegen sich um Erde, Jupiter und Saturn auf Kreisbahnen, in deren Mittelpunkt diese Planeten stehen, und sie bewegen sich in gleicher Richtung und fast auf der Umlaufbahn dieser Planeten. Aber es ist undenkbar, daß so viele regelmäßige Bewegungen aus rein mechanischen Ursachen herkommen könnten, da die Kometen sich überall am Himmel in exzentrischen Kreisen bewegen. Durch eine solche Art der Bewegung kreuzen sie leicht und schnell die Bahnen der Planeten. Und im Aphel, wo sie am langsamsten sind und am längsten verweilen, sind sie auch am weitesten voneinander entfernt, und sie sind daher dort den geringsten Störungen durch gegenseitige Anziehung ausgesetzt. Dieses wunderbare System von Sonne, Planeten und Kometen konnte nur dem Ratschluß und der Herrschaft eines vernunftbegabten und mächtigen Wesens entspringen.

In den Popularisierungen Newtons wurde aus dem Theismus der Deismus, und dieser entwickelte sich weiter zum mechanistischen Atheismus von La Mettrie (1709-1751) und Holbach (1723-1789). Allen diesen Auffassungen von Religion war der Glaube an die geregelte Ordnung des Universums gemeinsam, das im Bild vom Uhrwerk seinen Ausdruck fand. »Das Ideal eines Universums, das nach den Prinzipien eines Uhrwerks funktionierte, war der Beitrag des 17. Jahrhunderts zur Aufklärung im 18. Jahrhundert [27]

Zweifellos würden einige heutige Wissenschaftler einwenden, dies seien metaphysische Fragen, die eine auf Beobachtung gegründete Wissenschaft wie die Astronomie nichts angingen. Aber gerade das sind die hartgesottensten Metaphysiker, die es weit von sich weisen, überhaupt eine Metaphysik zu haben. An einem aktuellen Beispiel läßt sich das zeigen.

Der Planet Venus ist der Erde am nächsten und ist ungefähr so groß wie sie, so daß sie so etwas wie eine Zwillingsschwester der Erde ist. Deshalb nahmen diejenigen, die wie Newton an die Regelmäßigkeit der Natur glaubten, an, die Venus müsse sich einmal in 24 Stunden um die eigene Achse drehen, und ein Mond, ähnlich dem unseren, umkreise sie. Im 18. Jahrhundert behauptete eine ganze Reihe Astronomen, sie hätten diesen Mond gesehen und seine Bahn verfolgt. Nach dem Durchgang der Venus durch die Sonnenscheibe 1769 berechnete Lambert (einer von denen, die die Nebelhypothese aufgebracht hatten) die Bahn dieses Mondes und seine Größe (27/28 unseres Mondes). Durch den weiteren Fortschritt im Bau von Teleskopen wurde es den Astronomen der folgenden Generation unmöglich, das zu sehen, was es gar nicht gab. Nach Newton dreht sich die Venus in 23 Stunden um ihre Achse, also ähnlich wie die Erde [28].

Jacques Cassini berichtigte diese Zahl auf 23 Stunden 20 Minuten, und am Ende des 18. Jahrhunderts war die anerkannte Zahl 23 Stunden 21 Minuten 20 Sekunden. Ein weiteres Jahrhundert Beobachtung ließ die Größe 23 Stunden 21 Minuten als die richtige erscheinen, aber 1877 schloß G. V. Schiaparelli, die Venus rotiere sehr langsam, vermutlich einmal in einem Venusjahr. Immer noch veröffentlichten Astronomen ihre Berichte über jahrzehntelange Beobachtungen der Venus, die die Richtigkeit der Newtonschen Annahme einer Rotationsdauer von etwa 24 Stunden beweisen sollten. Obwohl Schiaparellis Ansicht, wenn sich die Venus überhaupt drehe, so geschehe dies sehr langsam, dadurch weiter bestätigt wurde, daß es keinen Dopplereffekt gibt und sie an den Polen nicht abgeplattet ist, akzeptierten viele Astronomen diese Ansicht erst 1963.

Während die Astronomen zweieinhalb Jahrhunderte brauchten, bis sie merkten, daß sie mit ihrem geistigen Auge durch das Teleskop geschaut hatten, erkannte der Philosoph David Hume (1711-1776) das erkenntnistheoretische Problem, das die Venus aufwarf. In einem erdachten Gespräch läßt er einen Anhänger Newtons sagen: »Ist nicht die Venus eine zweite Erde, auf der wir dieselben Phänomene beobachten können?« Ihm entgegnet Hume, und er ruft dabei Galilei zum Zeugen an: »Wenn die Natur ihre Wirkungsweise auf dieser kleinen Erde so abwechslungsreich gestaltet hat, können wir es uns dann vorstellen, daß sie sich über ein so unendliches Universum hin ständig wiederholt [29]

Die Rotation der Venus ist nur ein kleines Beispiel für die geistige Verwirrung, die entsteht, wenn die Naturwissenschaftler allen Lehrsätzen Newtons zustimmen, ohne zu unterscheiden, was an ihnen religiös und was im heutigen Sinn des Wortes wissenschaftlich ist.

In einem glänzenden und scharfsinnigen Essay mit dem Titel »Der Mensch Newton« für die Feierlichkeiten anläßlich des 300. Geburtstags Newtons der Royal Society (Cambridge 1947 ), stellte Lord Keynes fest:

Seit dem. 18. Jahrhundert sucht man in Newton den ersten und größten Naturwissenschaftler der modernen Zeit, einen Rationalisten, einen Mann, der uns gelehrt hat, nüchtern und natürlich zu denken. Ich sehe ihn nicht in diesem Licht.

Das Hauptargument dieses Essays ist: Newton »stand mit einem Bein noch im Mittelalter, und mit dem andern bahnte er der modernen Wissenschaft den Weg«. Dieses Arzument war schon früher laut geworden, aber diesmal stimmten ihm namhafte Wissenschaftshistoriker zu, denn Keynes hatte die unveröffentlichten Manuskripte Newtons einsehen können.

Bei Newton tritt der einmalige Fall ein, daß drei Jahrhunderte lang seine Bewunderer alles darangesetzt haben, die Veröffentlichung von ungefähr neun Zehnteln seines wissenschaftlichen Werks zu verhindern. Whiston war einer der ersten, der die Veröffentlichung von Newtons Manuskripten verlangte, denn er suchte nach einer Gelegenheit, dessen historische Theorien zu widerlegen. Erst in jüngster Zeit haben die Bemühungen um eine Veröffentlichung die ersten Erfolge gezeitigt.

Eine Veröffentlichung seines gesamten schriftlichen Nachlasses würde nachweisen, was einige Wissenschaftler behaupten und Newton selbst in einigen Briefen zugestanden hat:

Daß die Naturwissenschaften nicht sein Hauptinteresse waren und er sie als ancilla theologiae, als eine Dienerin der Theologie, auffaßte. Daß er in seiner wissenschaftlichen Arbeit so viel Erfolg hatte, spricht nicht dagegen, daß es sein Hauptziel war, die Astronomie mit der Religion zu versöhnen. Newton glaubte, die astronomische Revolution, die mit den Namen Kopernikus und Galilei verknüpft ist, habe die Grundlagen des Glaubens zerstört, und man müsse zum Weltbild des Mittelalters zurückehren. Er war Fundamentalist und wollte unter anderem beweisen, in der Bibel seien Prophezeiungen über den künftigen Ablauf der Geschichte enthalten. Sein Interesse an den Naturwissenschaften war, ein Nebenprodukt seines Strebens nachzuweisen, es bestünde kein Widerspruch zwischen den Naturwissenschaften und der biblischen Religion. Sein Bemühen faßte er als mittelalterliche Synthese von biblischer Religion und platonisch-aristotelischer Kosmologie auf.

Die umfangreichen unveröffentlichen Werke Newtons behandeln Fragen aus vielen Gebieten, von Alchimie bis Politik, aber die Theologie hat den Löwenanteil daran; ihr folgt alte Geschichte. Man kann sie nicht nur als Nebenbeschäftigungen betrachten. Ihnen widmete er mehr Zeit als seinen wissenschaftlichen Schriften. Sie sind mit der gleichen Sorgfalt konzipiert und formuliert. Alle seine Schriften bilden zusammen eine gedankliche Einheit, und die naturwissenschaftlichen Abhandlungen sind nur ein Aspekt davon.

Vor nicht langer Zeit hat uns Frank E. Manuel in Isaac Newton, Historian (Cambridge 1963) über den Inhalt von Newtons unveröffentlichten historischen Manuskripten informiert. Manuel hat deutlich gemacht, daß in ihnen Fragen behandelt werden, die zur Zeit der Niederschrift noch heftig umstritten waren. Aber er hat nicht begriffen, daß Newton mit ihnen nur eines im Sinn hatte, nämlich die historischen Forschungen der Renaissance und besonders die Whistons zu widerlegen. Ihr Hauptanliegen war es, alle historischen Beweise für Veränderungen im Sonnensystem abzuwerten. Beispielsweise versuchte er zu beweisen, daß erst in der Ära Nabonassar (747 v. Chr.) die Astronomie in Mesopotamien ihren Anfang genommen habe.

Im wesentlichen versuchte Newton, historisches Beweismaterial von der Art, auf die Velikovsky wieder aufmerksam gemacht hat, zu widerlegen. Newton argumentierte in seinem Bemühen zu beweisen, man habe erst sehr spät damit begonnen, die Gestirne zu beobachten, damit, der Zeitraum, den die anerkannte Chronologie umfaßt, müsse viel kürzer gewesen sein. Damit nahm er die Schlußfolgerung von Velikovskys Zeitalter im Chaos vorweg. Wie Velikovsky sagte er, die griechische Geschichte sei um 400 Jahre zu lang, und man müsse die Zeit, die wir heute das griechische Mittelalter nennen, abziehen. Wie Velikovsky behauptete er, einige ägyptische Dynastien seien auf den Zeittafeln doppelt verzeichnet. Eines der Hauptthemen Velikovskys ist, der Pharao Schischack aus dem Ersten Buch der Könige, ein Zeitgenosse von König Salomos Nachfolger, sei identisch mit Thutmosis III. aus der 18. Dynastie. Newton argumentierte ähnlich und identifizierte Schischack mit dem Pharao, der bei den Griechen Sesostris heißt. In ihren Berichten über Sesostris hätten die griechischen Geschichtsschreiber die Taten Thutmosis' III. mit denen Sesostris' III. aus der 12. Dynastie verwechselt. Es sei hier angemerkt, daß es Velikovsky nach zehn Jahre währendem Kampf mit den Ausschüssen, die C14-Tests an archäologischem Material vorzunehmen, endlich gelungen ist, sie zu einigen Untersuchungen zu veranlassen, die seine und Newtons Theorie beweisen oder widerlegen sollen. Die wenigen bisher durchgeführten Tests erhärten die Ansicht, die heute als gesichert geltenden Daten der ägyptischen Geschichte müßten wesentlich später angesetzt werden.

Alle Betätigungen Newtons auf den Gebieten Theologie, Geschichte und Naturwissenschaften hatten nur ein Ziel. I. Bernard Cohen, der beste Kenner Newtons in den USA, zieht die Schlußfolgerung (Franklin and Newton, Philadelphia 1956, S. 66): »Natürlich hatte Newton ein echtes Geheimnis, und er setzte alles daran, die Welt darüber im unklaren zu lassen.« Das Geheimnis besteht darin, daß er die Theologie und die Kosmologie des Maimonides bestätigen wollte. Mit Keynes ist Cohen einer Meinung. diese mittelalterliche Synthese von Religion und der Philosophie von Plato und Aristoteles sei Newtons Ideal gewesen. Er habe dieses Ideal geheimgehalten, weil er auf das naturwissenschaftliche Denken habe Einfluß nehmen wollen, ohne den Argwohn der Bewunderer der neuen wissenschaftlichen Methode zu erregen. Auch Velikovsky hat in Welten im Zusammenstoß erkannt, daß sein Kampf gegen Newton eigentlich Maimonides gelte. Maimonides erklärt ausdrücklich, indem er die Schöpfungsgeschichte glaube, sei er anderer Meinung als Aristoteles, er stimme aber Aristoteles darin zu, daß der Kosmos, einmal geschaffen, dauerhaft und unzerstörbar sei.

Um die Kosmologie des Aristoteles mit dem Text des Alten Testaments in Einklang zu bringen, erklärte Maimonides, alle Bibelstellen, aus denen man einen Hinweis auf, kosmische Katastrophen und Veränderung in den Bewegungen der Gestirne herausgelesen habe, seien metaphorisch aufzufassen und nicht als Berichte über tatsächliche Ereignisse. Velikovsky erzählt, Maimonides habe eine große Zahl von Bibeltexten neu untersucht, und er habe damit eine neue Tendenz der Exegese geschaffen. Newton ging in seiner Exegese griechischer Texte und der zu seiner Zeit bekannten orientalischen Texte wie Maimonides vor. In seinen naturwissenschaftlichen Schriften versuchte Newton zu beweisen, daß die Naturwissenschaft sehr wohl in Einklang mit dieser Exegese und der entsprechenden Theologie stehe.




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