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Alfred de Grazia:
(Herausgeber)


Die Velikovsky Affäre


Livio C. Stecchini

Keilschriftliche Aufzeichnungen über Astronomie und die Unbeständigkeit des Himmels

Ich möchte die Ansicht Pater Franz Xaver Kuglers SJ (1862-1929), einer führenden Autorität auf dem Gebiet babylonischer und biblischer Astronomie, Chronologie und Mythologie, als Beweis dafür zitieren, daß es Zeugnisse aus alten Zeiten gibt, die belegen, daß in jüngerer Zeit eine Katastrophe außerirdischen Ursprungs über die Erde hereingebrochen ist. Diese Katastrophe ist genau beschrieben und muß als Erfahrungstatsache von den Leuten miteinkalkuliert werden, deren Aufgabe es ist, astronomische und kosmologische Theorien aufzustellen.

Kuglers Denken war streng wissenschaftlich ausgerichtet. Er begann seine akademische Laufbahn als Dozent für Chemie. Aber nach dem Tod von Joseph Epping (1835-1894), der ebenfalls dem Jesuitenorden angehörte und der als erster die wissenschaftliche Erforschung astronomischer Texte in Keilschrift beschrieb, entschloß sich Kugler, sein Werk zu übernehmen und fortzuführen. Er wurde ein bedeutender Fachmann für antike Astronomie und für Keilschriftphilologie. Den größten Teil seines Lebens widmete er der Deutung keilschriftlicher Texte, die sich mit Astronomie und den verwandten Gebieten Chronologie und Mythologie befassen. Das Hauptcharakteristikum seiner Methode war eine mathematische Exaktheit, die noch heute als unübertroffen gilt. Im letzten Teil seines Lebens wandte er das Wissen, das er auf dem Gebiet der keilschriftlichen Dokumente gewonnen hatte, auf die Lösung von Problemen der Bibelinterpretation an. Sein größter Beitrag zum Studium antiker Astronomie war seine Methode, bei der allein er von der sorgfältigsten Deutung diesbezüglicher Texte ausging. Damit schaffte er apriorische Kategorien und vorschnelle Verallgemeinerungen aus dem Weg.

Die Entzifferung keilschriftlichen Materials hatte von Anfang an eine überwältigende Menge neuer Daten ans Licht gehoben, die die ernsthaften Wissenschaftler veranlaßte, einen großen Teil der überkommenen Vorstellungen über die Entwicklung der Kultur in der Antike in Frage zu stellen. Doch brachte diese Fülle umwerfenden Beweismaterials eine Reihe hervorragender Spezialisten der Keilschriftphilologie dazu, zu viele generelle Fragen gleichzeitig zu stellen und in ihrer Begeisterung über die neuen Erkenntnisse sich ohne genügende Deckung durch gesichertes Material allgemeinen Theorien zu verschreiben. Es stimmt zwar, daß viele dieser allgemeinen Theorien nur Versuche waren, mit dem Zweck zu betonen, daß sehr viele Annahmen vollständiger Revision bedürften. Aber konkret kam dabei heraus, daß die Debatte über allgemeine Grundsätze ausuferte. Der wesentliche Aspekt trat dabei in den Hintergrund, daß nämlich die Texte in Keilschrift neue exakte historische Belege lieferten, die verläßlicher waren als die meisten bisher bekannten.

Kugler betonte immer wieder, man solle mit seinem Urteil zurückhalten und sich auf die sorgfältige Untersuchung bestimmter Gruppen von Texten beschränken. Aus diesem Grund war er erst am Ende seines Lebens bereit, eine allgemeine Theorie zu veröffentlichen. Und erst knapp zwei Jahre vor seinem Tod brachte er ein schmales Bändchen mit dem Titel Sibyllinischer Sternkampf und Phaëton in naturgeschichtlicher Beleuchtung heraus (Münster 1927). Kugler, dessen Ruhm sich auf dicke Bücher gründete, die trotz ihrer inneren Klarheit doch nur für die wenigen verständlich sind, die auf dem Gebiet mathematischer Astronomie wie auch dem der Keilschriftphilologie bewandert sind, brachte dieses Büchlein in der Reihe Zeitgemäße Beiträge heraus. Er war der Ansicht, er hätte etwas zu sagen, was die ganze gegenwärtige Gesellschaft angehe, denn es habe eine große Bedeutung für die Kulturgeschichte. Kugler war sich wohl bewußt, daß große umwälzende Ideen eine weitere Verbreitung finden, wenn man sich an die breite öffentlichkeit wendet und nicht nur an Spezialisten. Denn die neigen dazu, den Vorstellungen verhaftet zu bleiben, die sie erlernt haben, zusammen mit den Arbeitsmethoden, die sie ihr ganzes Leben lang praktizieren. Aber obwohl Kugler sich an ein breites Publikum wenden wollte, kam er doch nicht von seiner gewohnten Methode los, etwas Allgemeines dadurch zu beweisen, daß er sich auf die exakte Interpretation einiger weniger Texte konzentrierte.

Werner Jäger wiederholte uns Studenten gegenüber gerne, die wichtigste Regel, die er vom großen Wilamowitz gelernt habe, sei die gewesen, daß in der Philologie wenige eindeutige Texte mehr Überzeugungskraft hätten als hundert mehrdeutige. Der Nachteil dieser Methode allerdings ist, daß sie zu Schlußfolgerungen führt, die nur für die Eingeweihten verständlich sind, weil nur sie ermessen können, daß eine revidierte Interpretation eines einzigen Textes eine Menge ähnlicher Texte mit einschließt. Kuglers Broschüre sollte das Dynamit sein, mit dem er die gesamte antike Chronologie und historische Astronomie in die Luft sprengen wollte, aber der Funken zündete nicht, weil das breite Publikum nicht verstand, worum es eigentlich ging, und diejenigen, die die Konsequenzen hätten verstehen können, psychologisch nicht bereit waren, die notwendigen Schlüsse zu ziehen.

Die »dringende Warnung«, die Kugler der öffentlichkeit geben wollte, faßte er zusammen als
eine Lehre von großer Bedeutung, daß man über die antiken überlieferungen, selbst wenn sie als Mythen oder Sagen auftreten, nicht leichthin weggehen kann und sie als phantastische, oder schlimmer noch, als bedeutungslose Hirngespinste ansieht. Man muß sich vor dieser Gefahr sehr in acht nehmen bei ernst gemeinten Berichten, besonders solchen religiöser Natur, wie sie im Alten Testament in großer Zahl vorkommen.

Diese allgemeine Theorie wandte er auf die Deutung des antiken Textes von der Sternschlacht an. Er merkte dazu an, dieser Text sei von den Gelehrten abqualifiziert worden als

völlig unsinnig. Keinem ist es je gelungen, sie als verständliche Allegorien, wenn es schon nicht möglich ist, sie als Hinweise auf kosmische Vorgänge aufzufassen . . . Ich muß zugeben, daß es mir bei meinen ersten eigentlichen Versuchen nicht besser ergangen ist. Aber die Erfahrung vieler Jahre der Entzifferung keilschriftlicher Texte über die astronomischen und astromythischen Vorstellungen- der Babylonier hat mich gelehrt, daß vieles in der Denkweise östlicher Völker und besonders der alten Orientalen, das uns westlichen Menschen unsinnig vorkommt, sich in Wirklichkeit auf Tatsachen gründet und logisch ist.

Als ich 1966 eine erste Fassung des vorliegenden Aufsatzes veröffentlichte, unterstrich ich, daß Aussagen wie die beiden zuletzt aufgeführten ein ganzes Leben der Erforschung antiker astronomischer Texte zusammenfassen sollten. Kugler wollte sie als Aussagen von grundlegender Wichtigkeit für das Verständnis der Naturwissenschaften im Altertum (die für die Geschichte von Belang sind) und für das Sammeln empirischer Daten zur Astronomie (was wiederum auf die Naturwissenschaften zurückwirkt) aufgefaßt wissen.

Nachdem diese nicht sehr umfangreiche, aber endgültige Einsichten vermittelnde und umfassende Veröffentlichung Kuglers der Vergessenheit entrissen war, wurde sie von mehreren Anhängern Velikovskys zitiert. Doch seine Gegner haben sie ignoriert. Das ist sehr bedauerlich, denn ich wäre sehr gespannt auf ihre Interpretation des von Kugler vorgelegten Materials.

Mein Aufsatz aus dem Jahr 1966 regte Malcolm Lowery, der der Velikovskyschen These positiv gegenüberstand, dazu an, in einem Artikel in einer Fachzeitschrift über Kuglers Buch zu referieren. Dieser Artikel ist ein wertvoller Beitrag. Er erschien zunächst in England und wurde dann in den USA in umgearbeiteter Fassung erneut veröffentlicht [1]. Es ist bemerkenswert, daß die amerikanische Fassung (meine Zitate stammen aus ihr), trotz Lowerys Bemühungen, die Gedanken von Kuglers 52 Seiten zu kondensieren, dafür doch noch volle 25 Seiten braucht. Trotzdem entgingen Lowery noch einige Punkte Kuglers. Damit soll nichts gegen Lowerys eminente Gelehrtheit gesagt werden: Er hat beispielsweise einige astromythologische griechische Texte glänzend übertragen, die sogar gelernten Altphilologen Kopfzerbrechen machten. Der Kern des Problems ist: Kugler hat zwar versucht, ein breites Publikum anzusprechen, aber er wußte genau, daß er Wesentliches sagte. Und daher sein Versuch, jeden Schritt dokumentarisch zu belegen; in vielen Fällen beschränkte er sich darauf, den Text antiker Dokumente zu zitieren, anstatt ihren gedanklichen Inhalt mit eigenen Worten wiederzugeben. Das Ergebnis ist ein Büchlein, das nur die verstehen, die mit seinen früheren hochspezialisierten Schriften vertraut sind.

Kugler veröffentlichte das Bändchen im Alter von 65 Jahren. Es war gedacht als Manifest, das neue Wege zur Lesung der Fragen weisen sollte, die noch ungelöst waren, seit die Gelehrten anfingen, die in Mesopotamien aufgefundenen Tontafeln mit astronomischem Inhalt zu lesen. Kugler hatte während seiner ganzen akademischen Laufbahn mit diesem Problem gerungen. Sein Manifest ist eine Darlegung von Einsichten und daraus sich ergebenden Zielen, die angestrebt werden sollen. In seinem Manifest bedachte Kugler, was sich in den vergangenen 50 Jahren auf dem Gebiet antiker Astronomie getan hatte, und er steckte die Ziele für die Forschung der nächsten Generation ab.

Leider kümmerte sich die unmittelbar folgende Generation nicht um dieses Manifest. Das ist kein Einzelfall. Thomas S. Kuhn berichtet in seinem Buch The Copernican Revolution (Cambridge, Mass., 1957, 185-86), Kopernikus sei 20 Jahre lang als »einer der führenden Astronomen Europas anerkannt gewesen«, bevor er 1543 kurz vor seinem Tod sein umwälzendes Buch veröffentlicht habe:

In vielen astronomischen Forschungen, deren Ergebnisse in den ersten 50 Jahren nach seinem Tod veröffentlich wurden, bezeichnete man Kopernikus als »zweiten Ptolemäus« oder »den Kunstfertigsten unserer Zeit«; in immer größerem Umfang übernahmen diese Bücher Daten, Berechnungen und Schaubilder . . . Autoren, die seiner Gelehrsamkeit Beifall zollten, seine Schaubilder oder die von ihm errechnete Entfernung zum Mond übernahmen, ignorierten gewöhnlich die Bewegungen der Erde oder erklärten sie für lächerlich.

Wenn heute Kuglers Erkenntnisse, die er in seinem Buch niedergeschrieben hat, einem Schriftsteller mit einem Gespür für das, was beim breiten Publikum ankommt, in die Hände fielen, so würde daraus ein Dauerbrenner. Es wäre sogar empfehlenswert, wenn dieser Autor sich die Filmrechte vorbehielte, denn Hollywood würde sich vermutlich darum bemühen. Aber Kugler gehörte einer anderen Generation und einer anderen Welt an: Er verbrachte mehr als die Hälfte seines Lebens innerhalb der Mauern von Jesuitenschulen, und er brachte neben seiner Beschäftigung mit sumerischen und assyrischen Tontafeln seinen Ordensbrüdern Mathematik bei.

Der zentrale Gedanke von Kuglers Büchlein ist, daß eine der bekanntesten, aber auch seltsamsten griechischen Mythen, die von Phaëton, sich auf ein tatsächliches Naturereignis zurückführen und auf etwa 1500 v. Chr. datieren läßt. Nach Kugler tauchte um diese Zeit ein Stern am Himmel auf, der heller als das Sonnenlicht war, und der am Ende auf der Erde einschlug: »Es gab wirklich einmal zur gleichen Zeit Brand- und Überschwemmungskatastrophen. «

Der Mythos erzählt, Phaëton (der Leuchtende oder Strahlende) habe sich einmal den Sonnenwagen ausgeliehen, aber die Pferde hätten ihn dazu gezwungen, die Bahn am Himmel zu verlassen, und er sei der Erde gefährlich nahe gekommen. Die Götter mußten das Unheil verhüten. Ein Blitzstrahl traf den Phaëton, und er fiel tot zur Erde. Kugler konzentriert sich auf diesen Mythos, um zu zeigen, wenn schon .eine so »phantastische« Geschichte als »poetisch verkleidete« naturwissenschaftliche Wahrheit aufzufassen sei, so gelte dies mindestens ebenso für andere Mythen.

Schon vor Kugler hatten viele Gelehrte erkannt, der Phaëton-Mythos deute auf ein Naturereignis hin, aber sie hatten dabei an eine ständig wiederkehrende Erscheinung gedacht. Einige hatten gesagt, damit sei die feurige Glut besonders prächtiger Sonnenuntergänge, andere wieder, es sei der Aufgang der Venus als Morgenstern gemeint. Das folgende soll verdeutlichen, was Kugler von so absurden Ansichten hielt:

Eine so einfache, alltägliche und friedliche Erscheinung wie der Abendhimmel konnte nicht Grundlage einer Legende werden, die ganz offensichtlich verwickelte, außergewöhnliche und stürmische Naturereignisse schildert. Andererseits konnte auch nicht der Aufgang der Venus als Morgenstern den Gedanken einer Naturkatastrophe aufkommen lassen - selbst nicht in den kühnsten Träumen.

Der reale Hintergrund dieses Mythos war nach Kugler, daß die Erde von einem Meteoritenstrom eingehüllt war, einem Strom von »unendlicher Breite«, der Meteoriten so »riesigen« Ausmaßes enthielt, daß sie auf der Erde zu »großen Feuersbrünsten und heftigen Flutwellen« führen konnten. Er deutete auch an, dem Einschlag müsse die Erscheinung eines noch größeren und helleren Himmelskörpers als die Sonne vorausgegangen sein. Aus Gründen, auf die ich später noch näher eingehen werde, ließ er offen, um was für eine Art von Himmelskörper es sich dabei gehandelt haben könnte.

Für Kugler weist das Feuer des Phaëton, das sich nach griechischer Anschauung vor allem auf Afrika auswirkte (einige Dichter behaupten, es sei schuld an der Hautfarbe der Afrikaner), auf das gleiche Ereignis hin, das die griechische Mythologie als die Deukalische Flut kennt (Deukalion ist der griechische Name des Mannes, der die Flut überlebt und die Erde wieder bevölkert haben soll). Nach der Gleichsetzung vom Feuer Phaëtons mit der Deukalischen Flut wies Kugler weiter nach, die antiken Chronologen hätten diesen zwei Ereignissen bestimmte Daten zugeordnet, wie zum Beispiel das Jahr 610 vor der Gründung Roms oder das 67. Jahr Moses. Tatsächlich lassen griechische Chronologen die Zeit, für die wir gesicherte Daten haben, mit diesem Ereignis einsetzen. Sie setzen für die Deukalische oder Ogygische Flut in Griechenland, das Feuer des Phaëton in Afrika und die Ägyptischen Plagen das gleiche Jahr an. Kugler ließ in seiner Darstellung eine Einzelheit aus: daß die Gründung Athens, d. h. der Stadt der Athena (die der Planet Venus war), als gleichzeitig mit diesen Geschehnissen galt. Nach der Chronologie des griechischen Geschichtsschreibers Ephoros (4. Jahrhundert v. Chr.) ereignete sich die Katastrophe 1528/27 v. Chr. [2]. Eratosthenes (3. Jahrhundert v. Chr.) übernahm diese Chronologie, die ihrerseits wieder in die Chronologie von Castor von Rhodos (1. Jahrhundert v. Chr.) einging. Varro zitiert Castor als Quelle dafür, daß zur Zeit der Ogygischen Flut »ein so seltenes Wunderzeichen auf dem Sterne Venus erschien, daß er Farbe, Größe, Form und Bahn änderte, was weder vorher noch nachher je wieder geschah. Adrastos von Cyzikus und Dion von Neapel, zwei berühmte Mathematiker, sagten, daß dies unter der Herrschaft des Ogyges vor sich gegangen sei [3].

Kugler schloß seine Zitate aus den Zeittafeln: »Wenn es uns auch nicht in den Sinn kommt, diesen Daten irgendeinen chronologischen Wert beizumessen und die alten Zeittafeln, die auf ihnen beruhen, gelten zu lassen (z. B. Petavious, de doctrina temporum), so haben wir doch nicht das Recht zu verneinen, daß in diesen Traditionen ein Kern historischer Wahrheit steckt.« Wie Velikovsky liest auch Kugler die Werke der antiken Chronologen sehr genau, ebenso wie die Untersuchungen zur Chronologie, die Gelehrte der Renaissance angestellt haben. Velikovsky zitiert eine Reihe von Renaissanceautoren, die betonen, daß antike Quellen die Katastrophe zeitlich mit dem Auftauchen des Kometen Typhon in Zusammenhang bringen. Sie bemerken, dieser sei zwar ein Komet genannt worden, aber er habe eine runde Form gehabt. Diese Autoren zitieren unter anderem einen Absatz aus Plinius (II, XXIII, 91-92), aus dein ersichtlich wird, es sei umstritten gewesen, ob Typhon ein Komet oder ein Planet sei. Der Absatz lautet:

Einige Kometen bewegen sich wie Planeten, andere stehen still ... Ein fürchterlicher Komet wurde von der Bevölkerung aus Äthiopien und Ägypten beobachtet, dem Typhon, der als König seiner Zeit herrschte, den Namen gab. Er war von feuriger Erscheinung und war gewunden wie eine Spirale, und er war sehr grimmig anzuschauen: er war nicht so sehr ein Stern als etwas, was man vielleicht als feurige Kugel bezeichnen könnte. Gelegentlich entfalten Planeten und Kometen eine Koma.

Wilhelm Gundel, ein Spezialist für hellenistische Sternsagen, rügte Kugler in der Besprechung seines Buches scharf, weil er es unterlassen hatte zu erwähnen, alle der von ihm untersuchten Texte schrieben die Katastrophe einem Kometen zu, und ganz besonders dem Kometen Typhon [4]. Gundel spach Kugler das Verdienst ab, als erster diese Theorie aufgestellt zu haben:

Kugler kommt zu dem Resultat, daß in der Phaëtonsage ein historischer Kern einer Kometenerscheinung steckt, in deren Gefolge zugleich ein partieller Weltbrand und eine Sintflut war. Dafür gibt K. eine ausführliche Detaillierung der Sage selbst. Ich darf darauf hinweisen, daß diese Deutung in allen Einzelheiten öfters im Altertum bereits gegeben worden ist und wahrscheinlich auf eine altpythagoreische Kometentheorie zurückgeht, die bereits Plato und Aristoteles nennen; sie wird dann von den späteren Kommentatoren bis ins einzelne durchgeführt.

Es scheint, daß Kugler den Ausdruck Komet umgehen wollte, weil die Rolle der Venus ihm Kopfzerbrechen machte und weil im Text von einem kugelförmigen Gebilde die Rede ist, das an Größe und Helligkeit der Sonne ähnlich ist. Er benutzt den Ausdruck sonnenähnlicher Meteor, der komisch klingt, außer man kennt sich in der antiken Terminologie aus. Um die Unveränderlichkeit des Himmels zu erweisen, macht Aristoteles einen Unterschied zwischen Astronomie und Meteorologie und definiert diese als »das Erscheinen am Himmel von brennenden Flammen und Sternschnuppen und dessen, was manche Fackeln und Hörner nennen« (Meteor.I, 341 B). Es ist bezeichnend, daß Aristoteles, nachdem er das Thema Meteorologie umrissen hat, die eigentliche Behandlung des Themas mit einer Widerlegung derer einleitet, die behaupten, »daß der Komet einer der Planeten sei« (342 B).

Gundel hat mit seiner Kritik nicht recht, denn obwohl aus Kuglers Deutung des antiken Berichts hervorgeht, daß er bei seiner Antwort von einem Kometen und der Einwirkung von dessen Schweif ausging, so legte er sich doch nicht fest, weil ihm die Rolle, die die Venus dabei spielte, rätselhaft war.

Nach dem Phaëton-Mythos wählte Kugler als Testfall für weitere Nachweise dafür, daß in Texten, die von Erscheinungen am Himmel berichten und die man für Hirngespinste und Ammenmärchen erklärt hat, ganz präzise naturwissenschaftliche Angaben enthalten sind, die letzten Verse des 5. Buchs der Sibylliniscben Bücher. Er nahm die Verse 512-531 her, denn F. W. Blass, der Herausgeber dieser Texte, hatte sie als das »verrückte Finale« des 5. Buchs apostrophiert, und Edmund Hoppe, Historiker der antiken Naturwissenschaften, hatte erklärt, aus welchem Blickwinkel man sie auch untersuche, immer stellten sie sich als »völliger Unsinn« heraus.

Kugler kam zu der Überzeugung, für ihn als Fachmann auf dem Gebiet antiker Astronomie hätten diese Verse einen klaren Sinn, denn sie erzählten »in eleganter Verkleidung wirkliche Naturereignisse nach einem völlig einheitlichen Plans [5]«.

Diese Verse wollen die Umstände des nahen Weltendes beschreiben. Sie wurden von griechischsprechenden Einwohnern Ägyptens im ersten vorchristlichen Jahrhundert niedergeschrieben, als die antike Welt von den messianischen Erwartungen einer kosmischen Katastrophe aufgewühlt war. Aber diese Verse enthalten einen so exakten und fachmännischen Bericht, daß sie mehr sein müssen als eine mystische Vision künftiger Zerstörung. Die astronomischen Angaben sind so präzise, daß man von den Konstellationen aus, die um 100 v. Chr. herrschten, errechnen kann, die Krise habe im September eingesetzt und nach 7 Monaten, 2 Tagen, 16 Stunden und 8 Minuten ihren Höhepunkt erreicht, also nach dem 7. oder 8. April. Velikovsky hat von der Übereinstimmung ägyptischer, hebräischer, athenischer und aztekischer überlieferungen her geschlossen, daß die Erde am 13. April von einem Kometenschweif berührt worden ist. Nach Kuglers Meinung begann diese Krise, die man als Sternschlacht beschrieben, hat, damit, daß am östlichen Himmel ein Stern auftauchte so hell wie die Sonne und mit einem scheinbaren Durchmesser wie die Sonne und der Mond. Statt des Sonnenlichts sah man lange Flammenströme, die sich kreuzten. Nach der Erwähnung dieser Flammenströme, die an die Stelle der Sonne als Lichtquelle traten, folgt die Zeile: »Der Morgenstern ritt auf dem Rücken des Löwen in die Schlacht. « Kugler bemerkt dazu, die Verbindung von Venus und Löwe müsse für die Menschen der Antike von ungeheurer Wichtigkeit gewesen sein, denn die verschiedenen Göttinnen, die der Planet Venus symbolisiert, wie die phrygische Kybele, die griechische »Große Mutter«, die karthagische Coelestis, hatten den Löwen als ständiges Attribut. Coelestis wurde dargestellt als mit einem Speer in der Hand auf einem Löwen reitend. Bei den Babyloniern war die Venus als Abendstern Göttin der Liebe und der Mutterschaft; als Morgenstern war sie Kriegsgöttin, Führerin des Heers der Sterne, und der Löwe war das Symbol »der Macht, die alles überwindet«.

Die Sternschlacht endet, als der Angreifer besiegt ist. Er fällt ins Meer und setzt dabei die Erde in Brand. Kugler zog zur Erklärung eine andere Prophezeiung desselben Buchs der Sibyllinischen Bücher heran. In den Versen 2o6-13 werden die gleichen Konstellationen erwähnt, und die Inder und Äthiopier werden gewarnt vor einem kommenden »himmlischen Feuer auf Erden und einer neuen Natur aus den kämpfenden Sternen, wenn das Land der Äthiopier in Feuer und Wehklagen untergehen wird«. Die Hervorhebung Äthiopiens wird verständlich, wenn man bedenkt, daß diese Texte in Unterägypten entstanden sind.

Kugler schloß, die Einzelheiten des in den Sibyllinischen Büchern prophezeiten Weltuntergangs seien aus den Berichten über vergangene Ereignisse übernommen worden, wie sie bei den Griechen die Geschichte von Phaëton darstellte.

Lowery hat festgestellt, Kugler habe bei der Behandlung der Sibyllinischen Bücher seine frühere Position aufgegeben, nach der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. eine große Katastrophe außerirdischen Ursprungs eingetreten sei; Kugler deutete nämlich das Orakel aufgrund der normalen Bewegungen der Himmelskörper im Jahre 100 v. Chr. Obwohl Lowery alle Sorgfalt walten ließ und er mit dem griechischen Original vertraut war, hat er doch nicht erkannt, worauf Kugler hinauswollte. Zunächst einmal lag er gar nicht so falsch, als er das 1. Jahrhundert v. Chr. als Entstehungszeit annahm, die Zeit, in der die Länder um das Mittelmeer sehr von messianischen Erwartungen eines nahen Weltendes umgetrieben wurden [6]. Zum anderen wollte Kugler zeigen, die Verfasser des Orakels seien so ausschließlich in feststehende astronomische Tatsachen vertieft gewesen, daß sie sich bei der Beschreibung der einzelnen Teilabschnitte der Phaëton-Episode auf ihre Kenntnisse der Konstellationen in den verschiedenen Monaten des Jahres gestützt hätten. Er behauptete, die Verfasser seien beileibe nicht verrückt gewesen und hätten nur Blödsinn verzapft; vielmehr hätten sie versucht, ihre Voraussagen (die auf einem historischen Ereignis vergangener Zeiten beruhten) dadurch glaubhafter zu machen, daß sie sie in den Rahmen einer genauen astronomischen Zeittafel eingepaßt hätten. Kugler machte deutlich, daß er nicht an die normalen Bewegungen am Himmel dachte, wie sie im Wechsel der Jahreszeiten ablaufen, als er den Vers »der Morgenstern ritt auf dem Rücken des Löwen in die Schlacht« so betonte und ihn in einen Zusammenhang damit brachte, daß in verschiedenen antiken Venuskulten die Göttin als auf einem Löwen reitend dargestellt werde.

Anhänger Velikovskys könnten es Kugler ankreiden, daß er die Rolle der Venus nicht genau definiert habe. Aber sie übersehen dabei, daß Kugler nicht eine Abhandlung über Kosmologie schreiben wollte: Er verbreitete ein Manifest, wie man Texte über Astromythologie interpretieren solle. Vielleicht läßt sich seine Methode verständlich machen, wenn man sich daran erinnert, daß er früher Dozent für Chemie war; er untersuchte zwei Gesteinsbrocken und wies nach, daß in dem Berg, von dem sie stammten, viel Gold lagere.

Lowery kritisiert Kugler, weil er nicht das Problem Katastrophentheorie kontra Aktualismus angesprochen habe; aber Kugler versuchte ja gar nicht, eine astronomische Theorie aufzustellen. Vielmehr machte er deutlich, wieviel astronomisches Wissen noch unausgeschöpft schlummerte. Auf jeden Fall durchschaute Kugler das theoretische Problem viel klarer als Lowery. Der bedauert, daß Kugler sich am Ende seiner Ausführungen gegen die »Katastrophentheorie« wendet: d. h. er lehnte als historisch unbedeutend alle Stellen aus griechischen Philosophen von Platos späten Dialogen bis hin zu den römischen Stoikern ab, in denen von Vernichtung durch Feuer und Wasser die Rede ist, obwohl diese Stellen immer etwas von der Phaëton-Sage übernommen haben.

Kugler hatte vom Standpunkt des Naturwissenschaftlers aus recht, aber nur in einem speziellen Sinn: Die antiken Schriftsteller sahen in der Phaëton-Episode kein unwiederholbares Ereignis. Diese Philosophen begründeten den modernen Aktualismus, denn sie paßten die historische Überlieferung von »Katastrophen« in einen zyklischen Rahmen ein, innerhalb dessen diese Erscheinungen in bestimmten Zeitabständen - in der Vergangenheit und in der Zukunft - wiederkehrten und wiederkehren. Sie laufen nach einer absolut unveränderlichen und vorhersehbaren Anordnung des himmlischen Kosmos ab. Es war ihr Weg aus einem ungeordneten Universum - man gibt das jetzt häufig zu - zu einer geordneten Unordnung, dem ersten Schritt dazu, den Gedanken der Unordnung ganz fallenzulassen. Sie gaben dadurch der Geschichte der Naturwissenschaften die Idee einer geordneten Entwicklung durch die verschiedenen Zeitalter.






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