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Alfred de Grazia:
(Herausgeber)


Die Velikovsky Affäre


Ralph E. Juergens

Der Beweis, den Mariner II lieferte

Er war zuversichtlich, sein Schluß, die Venus sei heiß, obwohl man wußte, das die äußeren Regionen ihrer atmosphärischen Umhüllung eine Temperatur von -25° C haben, werde endgültig bewiesen. Noch 1959 nahmen die Astronomen an, wegen der großen Reflexionskraft ihrer Wolken sei die Bodentemperatur auf der Venus etwa die gleiche wie auf der Erde. Die Umlaufbahn der Venus liegt näher an der Sonne, aber mehr Sonneneinstrahlung wird vor dem Auftreffen auf die Venus reflektiert als dies bei der Erde der Fall ist. Trotzdem argumentierte Velikovsky, daß der scheinbare Widerspruch in den längst bekannten Forschungsergebnissen - anscheinend langsame Rotation, dabei nahezu gleiche Temperaturen auf der sonnenabgewandten und der sonnenzugewandten Oberfläche der atmosphärischen Hülle der Venus - auf falschen Voraussetzungen beruhte, da es sich um einen jungen Planeten handelt. Er sei heiß und strahle von der Tag-und-Nacht-Hemisphäre gleichermaßen Hitze ab. (15 Jahre später, im Jahre 1961, gaben Radioastronomen bekannt, Strahlungen von der Venus gäben einen Hinweis darauf, daß ihre Oberfläche eine Temperatur von 315° C haben müsse. Und im Februar 1963, nach Auswertung der Daten von Mariner II, schätzten Naturwissenschaftler diese Temperatur sogar noch um circa 100 Grad Celsius [3] höher ein. Bisher gibt es noch keine überzeugende Erklärung, die dieses Ergebnis mit orthodoxen Kosmologien in Einklang bringt.) Velikovsky dachte, sein zweiter Schluß über die Venus - Kohlenwasserstoffe als Staub und Gase müßten in ihrer atmosphärischen Umhüllung vorhanden sein - könnte spektroskopisch untersucht werden. Deshalb trat er im April 1946 an Professor Harlow Shapley heran, damals Direktor des Harvard-College-Observatoriums. Ohne in Details zu gehen, erklärte ihm Velikovsky, er habe eine Hypothese über Veränderungen in der Ordnung des Sonnensystems aufgestellt, und seine Schlußfolgerungen daraus könnten teilweise mit Hilfe der Spektralanalyse der Venus überprüft werden. Shapley wies darauf hin, daß plötzliche Veränderungen in der planetarischen Ordnung sich nicht mit der Gravitationstheorie vereinbaren ließen. Trotzdem stimmte er zu, sich die Durchführung solcher Experimente zu überlegen, wenn ein anderer anerkannter Wissenschaftler Velikovskys Werk lesen und befürworten würde. Auf Bitten Velikovskys richtete Professor Horace M. Kallen, Mitbegründer der New School of Social Research und zu jener Zeit Dekan ihrer Graduate Faculty - er kannte das Werk schon -, ein dringendes Gesuch an Shapley, wenn dies möglich sei, auf der Venus nach Kohlenwasserstoffen zu suchen. Aber Shapley, der es abgelehnt hatte, das Manuskript zu lesen, antwortete auf Kallens Ersuchen, er habe an Velikovskys »sensationellen Behauptungen« kein Interesse, denn sie verstießen gegen die Gesetze der Mechanik. Wenn Dr.Velikovsky recht hat, dann sind wir anderen alle verrückt. « Trotzdem empfahl Shapley, Velikovsky solle sich entweder mit Walter S. Adams, dem Direktor des Mount-Wilson-Observatoriums, oder mit Rupert Wildt am McCormickObservatorium in Verbindung setzen.

Im Sommer 1946 richtete Velikovsky gleichlautende Anfragen an Wildt und Adams; er habe eine kosmologische Theorie, nach der es auf der »Venus reiche Vorkommen an Petroleumgasen und staubförmigen Kohlenwasserstoffen« gebe. Diese Folgerung sei so zwingend, daß er glaube, das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein dieser Stoffe in der atmosphärischen Hülle der Venus entscheide darüber, ob seine These haltbar oder unhaltbar sei. Er wolle daher wissen, ob man dies aus dem Spektrum der Venus herauslesen könne. Wildt schrieb zurück, im Absorptionsspektrum der Venus gebe es keinerlei Hinweis auf das Vorhandensein von Kohlenwasserstoffen. Adams wies darauf hin, die Absorptionskontinua der meisten Erdölmoleküle lägen weit im Infraroten, außerhalb des Bereichs, der durch die Fotografie erfaßt wird, und daß die Kohlenwasserstoffe, deren Absorption im sichtbaren Bereich liegen, im Spektrum der Venus nicht vorkommen.

Trotz alledem entschloß sich Velikovsky, einmal mehr auf sein historisches Beweismaterial zurückzukommen. In seinem Manuskript und auch später im Buch steht, daß ein positiver Nachweis dafür, ob erdölähnliche Kohlenwasserstoffe in der atmosphärischen Hülle der Venus vorhanden sind oder nicht, ein entscheidender Beweis für sein Werk sei. (Lewis D. Kaplan, der die Daten von Mariner II auswertete, schlußfolgerte im Februar 1963, daß auf der Grundlage der offensichtlichen Fähigkeit, zu kondensieren und bei einer Temperatur von etwa 100 Grad C in der Atmosphäre in schwere Moleküle zu polymerisieren, die Wolken der Venus aus Kohlenwasserstoffen und noch komplexeren organischen Verbindungen bestehen müssen.) [4] Ende Juli 1946 erklärte sich der inzwischen verstorbene John J. O'Neill, Redakteur des Wissenschaftsteils der New York Herald Tribune, bereit, Velikovskys Manuskript zu lesen. Unter dem unmittelbaren Eindruck widmete er seine Kolumne der Ausgabe vom 14. August dem Werk. Er gibt seine Meinung so wieder: »Dr. Velikovskys Werk bietet ein überwältigendes Panorama der Erd- und Menschheitsgeschichte, und es ist eine Aufforderung an die Naturwissenschaftler, ein realistisches Bild des Kosmos zu entwerfen.«

Zwischen Juni und Oktober 1946 schickte Velikovsky das Manuskript an verschiedene Verlage, aber sie waren einhellig der Meinung, ein Text mit so vielen Fußnoten sei zu wissenschaftlich, als daß er im normalen Buchhandel ein Erfolg würde. Schließlich aber führte der Weg zur Macmillan Company. Ihr Lektor für allgemeine Literatur, James Putnam, sah Möglichkeiten für das Buch. Im Mai 1947 wurde ein Vorvertrag abgeschlossen. Nach einem Jahr, währenddessen mehrere Außenlektoren, unter ihnen O'Neill und Gordon Atwater, damals Direktor des Hayden Planetariums und Leiter der Abteilung Astronomie des American Museum of Natural History, das Manuskript durchsahen und die Annahme befürworteten, wurde der Vertrag aufgesetzt und unterschrieben.

Etwa im März 1949 war es in Buchhandelskreisen durchgesickert, was für ein Buch Macmillan da in Arbeit hatte. Frederick L. Allen, der Chefredakteur von Harper's Magazine, bemühte sich um die Rechte für eine zweiteilige Synopsis von Welten im Zusammenstoß. Eric Larrabee, zu jener Zeit Redakteur beim Harper's Magazine, sollte versuchsweise aus den Fahnen eine Kurzfassung erarbeiten. Allen wollte sie genehmigen lassen, aber Velikovsky reagierte über ein halbes Jahr lang nicht auf diesen Vorschlag. Im Herbst erklärte er sich endlich auf weiteres Drängen hin bereit, Larrabee zu empfangen und sich mit ihm über eine einteilige Darstellung seines Themas zu unterhalten. Daraufhin schrieb Larrabee seinen Artikel ganz um.

Larrabees Artikel mit dem Titel »Der Tag, an dem die Sonne stillstand« erschien im Januarheft 1950. Schon nach wenigen Tagen war die Auflage vergriffen. Die Lesernachfrage war so groß, daß eine Reihe von Tageszeitungen in Amerika und in anderen Ländern Larrabees Artikel ungekürzt nachdruckten.

In der Februarausgabe 1950 von Reader's Digest erschien eine Populärfassung der Forschungsergebnisse Velikovskys. Fulton Oursler unterstrich in diesem Beitrag, daß die Geschichte, wie sie uns im Alten Testament überliefert ist, hier ihre Bestätigung finde.

Im Februar und März 1950 veröffentlichte Collier's Magazine zwei Fortsetzungen einer angekündigten dreiteiligen Serie. Velikovsky, der nur einem Vorabdruck des ganzen Buchs zugestimmt hatte, nicht aber Bearbeitungen und Kurzfassungen, war so bestürzt über die unbekümmerte Art, wie man mit seinem Werk in den sensationell aufgemachten Artikeln umsprang, die ihm zur Genehmigung vorgelegt wurden, daß er damit drohte, sich öffentlich von den Artikeln im Collier's Magazine zu distanzieren, wenn sie nicht grundlegend revidiert würden. Nach langen und stürmischen Konferenzen wurden die beiden ersten Manuskripte zum Druck freigegeben; Collier's zog das dritte ganz zurück.

Anfang Februar 1950, als Welten im Zusammenstoß kurz vor der Drucklegung stand, suchte Putnam Velikovsky auf und zeigte ihm zwei Briefe, die die Firma Macmillan von Harlow Shapley erhalten hatte. Im ersten vom 18. Januar brachte Shapley seine Befriedigung darüber zum Ausdruck, daß er gerüchtweise gehört habe, Velikovskys Buch werde nun doch nicht erscheinen, und seinem Erstaunen darüber, daß sich Macmillan überhaupt in das Gebiet der Schwarzen Magie habe wagen wollen. In seinem zweiten Brief vom 25. Januar - Putnam hatte auf das erste Schreiben geantwortet und darin das Gerücht zurückgewiesen und ihm versichert, das Buch werde wie geplant erscheinen - schrieb Shapley, der übrigens das Manuskript immer noch nicht gelesen hatte: »Es wird interessant sein, nach einem Jahr von Ihnen zu erfahren, ob die Veröffentlichung von Welten im Zusammenstoß dem Ruf der Firma Macmillan Company geschadet hat oder nicht. « Allermindestens würde die Freigabe des Buchs zum Abbruch aller Geschäftsbeziehungen zwischen Shapley und Macmillan führen. Er kündigte gleichzeitig an, daß auf seine Bitte hin eine Kollegin, die auch Altphilologin sei, einen Kommentar zum Artikel Larrabees vorbereite. Er schloß mit dem Ausdruck seiner Hoffnung, Macmillan habe den Werdegang Velikovskys gründlich durchleuchtet; »es sei gar nicht ausgeschlossen, daß die Episode >Welten im Zusammenstoß< ein einmaliger intellektueller Schwindel sei«.

Der zweite Brief war anscheinend ein schwerer Schlag für den Verlagsdirektor von Macmillan, George Brett. Er antwortete Shapley und dankte ihm in einem persönlichen Brief dafür, daß er ihn gewarnt hätte. Brett versprach, das Buch drei unabhängigen Gutachtern vorzulegen und sich nach dem Mehrheitsentscheid zu richten.

Anscheinend entschied sich die Mehrheit dafür; das Buch erschien wie geplant. Wer die drei Gutachter waren, wurde offiziell nie bekanntgegeben; einer von ihnen, Professor C. W. van der Merve, Leiter des Physikalischen Instituts der Universität New York, ließ später gegenüber O'Neill verlauten, er sei einer der drei gewesen, und er hätte für die Veröffentlichung gestimmt.

Science News Letter, eine Fachzeitschrift, die Shapley zu dieser Zeit als Herausgeber leitete, veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 25. Februar 1950 einen Verriß von Velikovskys Ideen durch fünf Fachleute aus fünf Gebieten: Nelson Glueck als Archäologe, Carl Kraeling als Orientalist, Henry Field als Anthropologe, David Delo als Geologe und Shapley selber als Astronom. Dieser Verriß erschien, als Welten im Zusammenstoß in Druck ging - keiner der Kritiker kannte das Buch.

Am 14. März erschien im Reporter der Kommentar zu Larrabees Aufsatz aus der Feder von Shapleys Kollegin Cecilia Payne-Gaposchkin. (Eine frühere Fassung war als Fotokopie an Naturwissenschaftler, Zeitungsredaktionen und Verlage verschickt worden.) Gaposchkin reihte Teile aus drei Sätzen, die auf drei verschiedenen Seiten von Larrabees Artikel standen, zu einem einzigen Satz aneinander, setzte ihn in Anführungszeichen und präsentierte ihn als »Dr. Velikovskys astronomische Behauptungen«. Das Hauptargument ihres Hetzartikels war, elektromagnetische Phänomene spielten im Weltraum überhaupt keine Rolle, und in einem nach rein mechanischen Prinzipien aufgebauten Sonnensystem sei das, was in Welten im Zusammenstoß stehe, gar nicht möglich. Die Nummer vom 25. März der Science News Letters führte in einer »Antwort an Velikovsky«, von dem man bisher noch nichts gehört habe, Gaposchkins Kritik als Pflichtlektüre für alle Naturwissenschaftler an - »eine detaillierte wissenschaftliche Antwort an Dr. Velikovsky « .

Am 11. April erschienen im Reporter Briefe an die Herausgeber von Larrabee und Gaposchkin. Larrabee warf Gaposchkin vor, es sei unfair, ein Buch zu attackieren, bevor man es überhaupt gelesen habe, und Gaposchkin gab auch zu, ihre Kritik hätte sich auf popularisierte Vorbesprechungen gestützt; sie fügte hinzu, inzwischen habe sie das Buch gelesen (es erschien am 9. April 1950) und finde es »stilistisch besser . . . aber sachlich genauso falsch«.

Die letzten Wochen vor Erscheinen von Welten im Zusammenstoß vergingen mit taktischen Manövern der Führer der Opposition. Otto Struve, damals Direktor des Yerkes-Observatoriums an der Universität Chicago und ExPräsident der Amerikanischen Astronomischen Gesellschaft, schrieb an John O'Neill und Gordon Atwater und forderte sie auf, ihre Einstellung zu Welten im Zusammenstoß zu ändern. Atwater, dem nicht bekannt war, daß ein Untersuchungsverfahren gegen ihn lief, antwortete, er glaube, Velikovskys Buch sei ein bedeutendes Werk, und obwohl er ihm nicht in allen Schlüssen folgen könne, werde er es in der Zeitschrift This Week positiv besprechen. Er plane - das war schon öffentlich angekündigt - eine Vortragsreihe über Welten im Zusammenstoß. O'Neill schrieb einen geharnischten Brief, zerriß ihn aber wieder. Er erklärte lediglich, seine Meinung über das Buch habe sich in keiner Weise geändert.

Atwaters Vortragsreihe wurde sofort torpediert. Im Lauf der letzten Märzwoche wurde er aus beiden Stellungen am Museum - Direktor des Hayden-Planetariums und Leiter der Astronomischen Abteilung fristlos entlassen und aufgefordert, sein Büro sofort zu räumen. Als seine Rezension, in der er sich für Aufgeschlossenheit bei der Beurteilung der neuen Theorie einsetzte, am 2. April in This Week erschien, hatte er bereits die Ämter, die hinter seinem Namen standen, nicht mehr inne. Versuche in letzter Minute, This Week davon abzubringen, diese Titelgeschichte zu veröffentlichen, blieben ohne Erfolg, als der Chefredakteur O'Neill um Rat fragte und ihn dann auch befolgte.




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