1964 jährte sich zum 500. Mal der Todestag des Nikolaus von Kues und der 400.Geburtstag von Galilei, und es scheint angebracht, die Leser daran zu erinnern, daß die Erhaltung der wissenschaftlichen Methoden, die sie eingeführt haben, stetige Wachsamkeit erfordert. Daß diese Wachsamkeit nötig ist, hat schon die Civiltä delle Macchine, eine internationale mehrsprachige Zeitschrift, die in Italien erscheint, betont. Diese Zeitschrift befaßt sich mit der Rolle der Naturwissenschaften in der gegenwärtigen Gesellschaft. Zur Feier von Galileis 400. Geburtstag erschien im Mai/Juni 1964 ein Sonderheft mit dem Schwerpunkt naturwissenschaftlicher Methodik. In der Einleitung schrieben die Herausgeber:
Gerade heute, wo der wissenschaftliche Fortschritt besonders hell zu strahlen scheint, besteht die Neigung, einige dunkle Kräfte zu übersehen, die von innen und außen auf ihn einwirken. Wenn es auch nicht schwerfällt, wenigstens rückblickend die äußerlichen Behinderungen wissenschaftlicher Forschung zu identifizieren (der Fall Galilei ist ein eklatantes Beispiel), so vergißt man doch oft, daß es auch innerhalb der Wissenschaften einen solchen Widerstand gibt... Zu den Hindernissen, die oft aus der Kleinkariertheit der Geisteswissenschaftler herkommen, tritt mit schlimmeren Folgen eine geistige Unbeweglichkeit gerade der Leute ein, deren Aufgabe es ist, die Wissenschaften zu pflegen. Diese Unbeweglichkeit ist das Ergebnis apriorischer und verabsolutierter Ansichten. Bruno de Finetti geht in seinem Aufsatz ausführlich und tiefschürfend auf dieses Problem ein. Er erinnert uns daran, daß »wissenschaftliches Denken einheitlich und in ständiger Erneuerung ist, nicht fragmentarisch und endgültig«.
Den Hauptartikel schrieb Bruno de Finetti, Professor am Mathematischen Institut der Universität Rom, ein Fachmann auf dem Gebiet der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Seine hauptsächliche wissenschaftliche Leistung bestand in der Untersuchung der Wechselbeziehung von mathematischen Methoden und psychologischen Haltungen in der Struktur quantitativer Naturwissenschaften.
Im Leitartikel [1] mit der Überschrift »Die Verbreitung der Wahrheit« steht die Bemerkung, die moderne Naturwissenschaft sei dadurch entstanden, daß sie sich von Theologie und Metaphysik losgesagt habe. Aber dieser Anspruch der Naturwissenschaft, eine eigenständige Quelle der Erkenntnis zu sein, »habe zwei Feinde, die nie ermüden und die man nie besiegen könne: auf der einen Seite den Dogmatismus, der von den Naturwissenschaftlern selber praktiziert werden könne, die die gewonnenen Erkenntnisse so sehr verabsolutieren, daß die Einführung neuer Ansichten schwer, wenn nicht gar unmöglich wird, und andererseits den Skeptizismus, der die erkenntnismäßigen Aspekte der Naturwissenschaft auf eine Reihe unzusammenhängender Hypothesen einengt«.
Als Beispiel dafür schenkt Professor de Finetti in seinem Artikel »Hemmschuhe auf dem Weg der Wissenschaften« [2] dem Fall Velikovsky große Beachtung. Seiner Ansicht nach vermittelt die Weigerung der großen Mehrheit der akademischen Welt, objektiv darüber zu diskutieren, wie viele von Velikovskys Hypothesen angesichts des gegenwärtigen Standes der empirischen Forschung akzeptabel sind, »vor allem eine große Lehre«: Die Berufsbezogenheit und gegenseitige Abgrenzung der verschiedenen wissenschaftlichen Sparten sind ein Hindernis für die notwendige ständige Erneuerung der Wissenschaften geworden.
Die Wissenschaftler wissen nicht mehr, daß die Einteilung in Sparten um der Wissenschaft willen da ist, und sie glauben, die Wissenschaft sei dazu da, die Abgrenzung der einzelnen Zweige und der damit verbundenen Organisationsstrukturen aufrechtzuerhalten. De Finetti meint, der Versuch Velikovskys, die Deutung historischer Überlieferung und Dokumente zu astronomischen und physikalischen Forschungen in Beziehung zu setzen, habe zu diesem Tumult den Anlaß gegeben. Was man als Bedrohung empfand, war die Aussicht, Raumsonden könnten z. B. zur Lösung von Problemen antiker Kulturen beitragen. Die Wissenschaftler lehnten es ab, über die Vorzüge und Nachteile von Velikovskys Studien zu diskutieren, weil ein großes Problem sie gefangenhielt - die Tatsache, daß er »das Recht ihrer verkalkten Gehirne auf den ewigen Frieden« in den eingefahrenen Geleisen bestreitet. Die Verteidigung eines solch berechtigten Interesses an der Erhaltung der interdisziplinären Abgrenzungen könne »jeden Clan von Spezialisten und den großen Clan der Naturwissenschaftler im allgemeinen in eine Art von despotischer und verantwortungsloser Mafia« verwandeln.
Dabei erinnern wir uns an den eminent wichtigen Beitrag, den Harold D. Lasswell zum Behaviorismus geleistet hat: Er hat nachgewiesen, daß der Kampf um Geld, Macht und Prestige zwischen den Vertretern verschiedener Methoden und besonders um die Verteidigung dieser alten Methoden gegenüber neuen die Gesellschaft genauso in verschiedene Lager spaltet, wie es Karl Marx vom Klassenkampf behauptet.