In seiner Schrift De docta Ignorantia bestritt Nikolaus von Kues (1401-1464) den qualitativen Unterschied von Himmel und Erde. Er lehnte auch die übrigen damit zusammenhängenden Lehrsätze der aristotelischen Metaphysik ab und führte das heliozentrische Weltbild wieder ein. Er erklärte, die Erde sei nicht vollkommen rund und die Umlaufbahnen der Planeten nicht vollkommen kreisförmig [8]. Weiter behauptete er, die Bewegung der Himmelskörper sei von Natur aus nicht stabil, und er stellte die Hypothese auf, einiges von dem, was die antiken Schriftsteller geschrieben hätten, lasse sich dadurch erklären, daß sie einen Himmel gesehen hätten, der anders sei als der seiner Zeit. Er definierte die Wissenschaft als »belehrte Unwissenheit«, denn es sei unmöglich, eine exakte, immer gültige und absolute Beschreibung des Universums zu geben.
Die Ansicht von Kopernikus (1475-1543) war verhältnismäßig konservativ: Er verband das heliozentrische Weltbild mit der traditionellen Vorstellung kreisförmiger Bewegungen (um die Sonne) und eines durch eine Fixsternsphäre begrenzten Weltalls. Der Opposition gegen Kopernikus lag die Erkenntnis zugrunde, dadurch, daß er die heliozentrische Theorie auf eine mathematische Grundlage stellte, habe er zur Untergrabung der Metaphysik beigetragen, die von Nikolaus von Kues mit dieser Theorie in Verbindung gebracht worden war.
Aufgrund der kopernikanischen Theorie fing man an, den Text der Schöpfungsgeschichte anzuzweifeln: Wenn die Erde nur ein Planet ist, der um die Sonne kreist, dann ist es mehr als fraglich, daß die Schöpfung göttlicher Vorsehung entsprungen ist. Ein Schwiegersohn Osianders, der die Schriften des Kopernikus verlegte, äußerte den ersten Einwand gegenüber der göttlichen Autorität des biblischen Berichtes: neque mihi quisquam Judaeorum fabulas obiiciat [9] (»Es soll mir ja keiner die Geschichten der Juden entgegenhalten«). Gelehrte begannen an der Vorstellung zu zweifeln, die Erde sei ein für allemal geschaffen worden. Sie untersuchten antike Chronologien und schufen damit die Grundlage von Geologie und Paläontologie.
Im Zeitalter der Reformation kamen einige religiöse Apologeten mit dem Argument an, man müsse unterscheiden zwischen der Schöpfurig des gesamten Weltalls und der Schöpfung der Erde; der Bibeltext beziehe sich nur auf diese.
In seinem letzten und größten Werk, De immenso et innumerabilibus - es erschien kurz nach seiner Einkerkerung-, machte Giordano Bruno (1548-16oo) klar, was es mit dem Prinzip der indifferenza della natura auf sich habe. Für ihn gab es keine gottgewollte Ordnung in der Natur und auch nicht die Stabilität des Sonnensystems, die an die Lehre von der Kreisbewegung gebunden ist. Er stellte fest, nur die unvollkommenen astronomischen Beobachtungen hätten die Gelehrten früherer Zeiten zu der Ansicht kommen lassen, die Himmelskörper bewegten sich auf Kreisbahnen und kehrten schließlich zu ihrem Ausgangspunkt zurück (de vanitate circulorum et anni illius mundani phantasia platonica et aliorum [10]und erwies nach, daß astronomische Bewegungen unendlich kompliziert sein müßten (differentias et singularum differentiarum irregularitatem [11] ). Der Glaube an die einfache und regelmäßige Bewegung der Planeten, fuhr er fort, sei das Ergebnis eines irreführenden astrologischen Denkens sub fiede vel spe geometricantes naturae; man müsse die astronomische Mathematik von platonischen und pythagoreischen metaphysischen Auswüchsen freimachen. Aus der Relativität der Bewegung folgt die Relativität der Zeit; weil man keine vollkommen regelmäßige Bewegung entdecken kann, und weil wir keine Aufzeichnungen haben, aus denen hervorgeht, daß alle Gestirne genau die gleiche Position der Erde gegenüber innehaben wie früher, und daß ihre Bewegungen voll starrer Regelmäßigkeit sind, läßt sich kein absolutes Zeitmaß finden. [12]
John Donne faßt diese neue Vorstellung der Natur in seinem Gedicht An Anatomy of the World vom Jahre 1611 zusammen:
Und die neue Philosophie zweifelt alles an...
Und die Menschen bekennen freimütig, daß diese Welt verbraucht ist,
Wenn sie in den Planeten und am Firmament
So viel Neues suchen; und dann erkennen, daß dieses
Auch wieder in seine Atome zerfällt.
Alles ist in Stücke gegangen, jeder Zusammenhalt ist weg...
Von den Sternen, die sich rühmen, daß sie noch immer auf Kreisbahnen laufen,
Kehrt keiner an seinen Ausgangspunkt zurück.
Man hatte Velikovsky ausgelacht, er habe Astronomie und Geologie, antike Überlieferungen, antike Chronologie und antike Naturwissenschaft bunt zusammengewürfelt. Aber darin folgte er nur den Spuren der Renaissance, denen zu folgen unausweichlich wird, wenn erst einmal der dogmatische Glaube an die ewige Dauer des Sonnensystems in Frage gestellt ist. Die neue Astronomie gab den Anstoß zu einer Reihe von Abhandlungen über antike Traditionen und Chronologie und weckte das Interesse an ägyptischen und mesopotamischen Naturwissenschaften. Zum Beispiel begründete Athanasius Kirchner (1601-1680) mit seinem Mundus subterraneus das Studium der Geologie, sein Oedipus Aegyptiacus war der Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit ägyptischer Naturwissenschaft. In Vicissitudo Rerum (1600) bezieht sich John Norden auf diese Spekulationen, die Velikovsky zu neuem Leben erweckt hat:
Die alten Dichter sprechen in ihren einfältigsten Geschichten Geheimnisse aus: in der Geschichte von Phaëton, wie die himmlischen Kräfte sich auflehnten mit der Macht des Feuers; in der Geschichte von Pyrrha und Deukalion, wie des Wassers Gewalt teilweise zusammenwirkt mit der Gottheit - von den Priestern des alten Ägypten sagt man, sie sähen beim Anblick der Sterne die traurigen Überreste vergangener Zeiten, wie Feuer und Wasser sie auf der Erde zurückgelassen haben: und wie die Welt, wandelbar und schamlos, bestürmt von diesen, nicht ruhig bleiben kann. Erdbeben und Kriege, Hunger, Haß und Pestilenz bringen der Erde Gefahren und den Menschen machen sie unruhig.
Sir Walter Raleigh fragte sich in seiner History of the World (1616), wieso die antiken Schriftsteller die Phasen der Venus schon gekannt haben können, da doch vor kurzem erst Galilei sie entdeckt habe. Er zählte die Quellen auf, in denen steht, zur Zeit der Ogygischen Flut »geschah der Venus ein so groß Wunder, wie es vorher und nachher nicht mehr gesehen ward: denn ihre Farbe, Größe, Gestalt und Bahn änderten sich«. Die Katastrophe, die mit dem Namen Ogyges verbunden ist, für die alten Griechen ein bestimmter Zeitpunkt, ereignete sich gleichzeitig mit der völligen Umwandlung der Venus. Diese Angaben Varros, »des gelehrtesten aller Römer«, beruhen auf früheren Naturwissenschaftlern. Sie hätten für die Zeit Newtons von Interesse sein müssen, denn damals wurde die Wirkungsweise des Sonnensystems in den Rang einer exakten Naturwissenschaft erhoben. Aber während die Auswertung der antiken Schriftsteller zu mehr als einer Entdeckung im Zeitalter der neuen Astronomie führte - selbst für das heliozentrische Weltbild waren griechische und römische Schriftsteller die Gewährsleute -, machte Newton Schluß mit der Verwertung antiker Quellen als Anregung für die astronomische Forschung. Die Vorstellung, daß das Sonnensystem eine Geschichte haben müsse, wurde im Namen der neuen Wissenschaftsreligion genauso zur Gotteslästerung erklärt, wie sie es für die Scholastiker gewesen war (der Heilige Augustin, 354-430, hatte noch eine andere Haltung zu den klassischen Schriftstellern als Quelle eingenommen).
Am Vorabend der Begründung der Newtonschen Kosmologie gehörten Spekulationen über kosmische Katastrophen so sehr zum Alltag, daß sich Moliere 1672 in seiner satirischen Komödie »Die gelehrten Frauen« über die Damen, die in übersteigerter Bildungsbeflissenheit astronomische Studien betrieben, lustig macht:
Ich höre Wichtiges soeben, meine Damen, Wie wir im Schlafe
knapp dem Unheil noch entkamen, Da dicht vorbei an uns ein Weltenkörper glitt,
Der unsre Sphäre quer und blitzesschnell durchschnitt. Ein Stoß genügte schon,
die Erde zu verderben;
Zersplittert wäre sie dabei in lauter Scherben [13]