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Alfred de Grazia:
(Herausgeber)


Die Velikovsky Affäre


Ralph E. Juergens

Erde im Aufruhr

Zu der Zeit schloß Velikovsky das Manuskript von Erde im Aufruhr ab. In diesem Buch legte er die erdgeschichtlichen Beweise für die Katastrophen vor. Einstein hatte Teile des Manuskripts gelesen und Anregungen an den Rand geschrieben. Nach Aussagen von Helen Dukas, seiner Sekretärin, habe Einstein noch kurz vor seinem Tod vorgehabt, an den Leiter der Ägyptologischen Abteilung des Metropolitan Museum of Art zu schreiben und ihn zu bitten, zur Überprüfung der Thesen von Zeitalter im Chaos C14 Tests anzustellen. Obwohl sie diese Bitte übermittelte - und trotz jahrzehntelanger Bemühungen Velikovskys darum beim Britischen Museum und anderen Institutionen -, blieben das Neue Reich und die Spätzeit Ägyptens, die nach herkömmlicher Chronologie einen Zeitraum von 1200 Jahren umfassen, aus den Testprogrammen ausgeklammert. In mehr als einem Fall sah man Überreste aus dieser Periode als »verseucht« an, nur weil bei diesen Tests ein unerwartet niedriges Alter herausgekommen war.

Erde im Aufruhr erschien im November 1955. Velikovsky überprüfte darin das jahrhundertealte Prinzip des Lyellschen Aktualismus durch Vergleich seiner Lehrsätze mit Anomalien in allen Gegenden der Welt: gefrorener Schlamm aus Alaska, der fast ganz aus unzähligen Überresten von Tieren und Bäumen besteht; ganze Inseln im Nördlichen Eismeer, in deren Boden haufenweise nichtversteinerte Mammut-, Rhinozeros- und Pferdeknochen liegen; unvergletscherte Polarländer und vergletscherte tropische Länder, Korallenablagerungen und Kohlenlager nahe den Polen; Knochen von Tieren aus der Tundra, Prärie und tropischen Regenwäldern bunt zusammengewürfelt wie in einem Massengrab; das erstaunlich niedrige Alter der großen Gebirgsketten auf der Erde; Pole, die sich verlagert haben; magnetische Polaritäten, die sich umgekehrt haben; plötzliche Änderungen in der Höhe des Meeresspiegels, Gräben auf der Erde und auf dem Meeresboden.

Dann griff Velikovsky die Evolutionsfrage auf. Er argumentierte, Darwin habe die Katastrophentheorie zugunsten von Lyells Aktualismus verworfen, weil die Verfechter der Katastrophentheorie zu seiner Zeit nicht anerkennen wollten, daß die Erde so alt sei. Aber in Wirklichkeit weisen Katastrophen auf den einzig einleuchtenden Mechanismus hin, der dem Phänomen der Evolution durch Mutation zugrunde liegt. So bestand Darwins Beitrag zur Evolutionstheorie, die übrigens schon aus griechischer Zeit stammt, nur in der bis zum heutigen Tag unbewiesenen Hypothese, der Kampf ums Dasein sei Ursache für das Entstehen neuer Arten. Im Streit, der nach der Veröffentlichung des Buchs »Über die Entstehung der Arten« entbrannte, ging es vor allem um die Frage, ob die Evolution eine natürliche Erscheinung sei oder nicht, und sie wurde richtig mit »ja« beantwortet. Aber was bei dem ganzen Tumult völlig in den Hintergrund trat, war die Unzulänglichkeit von Darwins Hypothese: »Wenn die natürliche Auslese ... nicht der Mechanismus für die Entstehung der Arten ist, reduziert sich Darwins Beitrag auf sehr wenig - nur auf die Rolle der natürlichen Auslese bei der Ausrottung der Untauglichen.« In Erde im Aufruhr vertrat Velikovsky die Ansicht, die Evolution sei ein Katastrophenprozeß: » . . . Das Prinzip, das zur Entstehung der Arten führen kann, existiert in der Natur. Ironischerweise sah aber Darwin gerade in der Katastrophentheorie den Hauptgegner seiner Theorie . . . «

Es hat den Anschein, daß die wissenschaftlichen Zeitschriften und ihre Rezensenten Erde im Aufruhr zunächst lieber ignorierten, weil sie sich noch allzugut an die negativen Auswirkungen ihrer Agitation gegen Welten im Zusammenstoß erinnerten. Aber einige Monate nach Erscheinen des Buchs brachte eine New Yorker Rundfunkstation eine Talkshow, in der sich Jacques Barzun, zu dieser Zeit neugewählter Dekan der Graduate Faculties der Columbia University, und Alfred Goldsmith, Präsident der Radio Engineers of America und Vizepräsident der Radio Corporation of America mit dem Spezialgebiet Forschung, über das Buch unterhielten. Clifton Fadiman moderierte die Sendung. Alle drei Teilnehmer sprachen begeistert über Velikovskys Methoden, sein Wissen und die überzeugende Art, wie er sein Beweismaterial dargeboten habe. Sie glaubten, dieses Buch sei vielleicht ein erster Schritt zu neuen naturwissenschaftlichen und historischen Erkenntnissen. Alle drei waren einhellig der Meinung, Velikovskys Werk hätte eine objektive Behandlung von seiten der Wissenschaftler verdient. Vielleicht war diese für das Buch positiv verlaufene Diskussion der Grund dafür, daß man sich bemüßigt fühlte, Erde im Aufruhr auch in anderen wissenschaftlichen Medien zu besprechen. Im Märzheft 1956 von Scientific American stand eine Rezension von Harrison Brown. Den Hauptteil von Browns Besprechung bildete eine Entschuldigung für das schlechte Benehmen der Wissenschaftler, die Welten im Zusammenstoß unterdrückt hatten, und einer Wiederholung seiner früheren Haltung zu diesem Buch. In einem Artikel über sieben Spalten lehnte Brown Erde im Aufruhr ab, ohne dabei auf eine einzige Frage näher einzugehen. Nur in einem Abschnitt stand etwas über das neue Buch, dann kam er wieder auf die alte Kontroverse zurück. Aber wieder brachte er kein einziges Argument gegen Welten im Zusammenstoß vor, und dabei hatte er doch behauptet, er könne damit dreißig Seiten füllen. (In einem Brief an einen Leser Velikovskys in Kanada erklärte Brown 1963, seine Rezension von Erde im Aufruhr hätte sich gegen »das miserable Benehmen von Wissenschaftlern und Verlegern« gerichtet.)

Im Dezember 1956, als das Internationale Geophysikalische Jahr geplant wurde, unterbreitete Velikovsky durch Vermittlung von Professor H. H. Hess dem Planungsausschuß folgende Gedanken: » . . . Es wird anerkannt, daß das Magnetfeld der Erde ... mit zunehmender Entfernung vom Boden schwächer wird; doch sollte die Möglichkeit nicht außer acht gelassen werden, daß das Magnetfeld oberhalb der Ionosphäre stärker ist als an der Erdoberfläche.« Auch könne man »eine Untersuchung darüber, ob die unerklärlichen Librationen oder Schaukelbewegungen des Mondes in Breite und Länge mit den Drehungen der magnetischen Erdpole um die geographischen Pole übereinstimmen«, in das Forschungsprogramm aufnehmen. E. O. Hulburt, Mitglied des Ausschusses, teilte Hess mit, falls die erste Annahme durch schon geplante Experimente sich als richtig erweise, so könne man die zweite zu einem späteren Zeitpunkt untersuchen. (Tatsächlich war die wichtigste Einzelentdeckung des Internationalen Geophysikalischen Jahrs, daß die Erde von den Van-Allen-Strahlungsgürteln elektrisch geladener Teilchen umgeben ist, die in dem weitreichenden Magnetfeld der Erde eingeschlossen sind.)

Claude Schaeffer, Professor am College de France und Ausgräber von Ras Sehamra in Syrien, wurde auf Erde im Aufruhr aufmerksam. In seinem 1948 erschienenen Buch Stratigraphie comparee et chronologie de l'Asie Occidentale hatte Schaeffer die Theorie entwickelt, alle alten nahöstlichen Kulturen seien im 3. und 2. Jahrtausend fünfmal gleichzeitig von Naturkatastrophen heimgesucht worden. Velikovsky veröffentlichte 1945 in den Scripta Academica einen Abriß seiner eigenen Theorie. Schaeffer schrieb Velikovsky einen begeisterten Brief, und die beiden begannen einen Briefwechsel, der bis heute andauert. 1957 trafen sich Velikovsky und Schaeffer in der Schweiz und in Athen.

1960 kam das Buch Odipus und Echnaton heraus, in dem Velikovsky Echnaton als das historische Urbild des legendären Odipus identifizierte. Es hatte sich aus der ursprünglich geplanten Studie Freud und seine Helden entwickelt, die Velikovsky fast 20 Jahre früher nicht zu Ende geführt hatte. (»Träume Freuds«, eine neue Deutung von Träumen des Begründers der Psychoanalyse, erschien im Oktoberheft 1941 der Psychoanalytical Review.) Auch dieses Werk wurde von der Mehrheit der Wissenschaftler übergangen, obwohl Professor Gertrude E. Smith von der Universität Chicago, eine der führenden Altphilologen der USA, es in der Chicago Tribune [19] positiv besprach. In der New York Herald Tribune [20] lehnte Albright die These ab mit der Begründung, es sei unwahrscheinlich, daß es zu einer so frühen Zeit schon einen Kulturaustausch zwischen Ägypten und Griechenland gegeben habe. Aber es wurde eine Menge mykenisches Tongeschirr in der Hauptstadt von Echnatons Reich gefunden, und in einem mykenischen Grab in Griechenland tauchte ein Siegel mit dem Namen von Echnatons Mutter auf. Die Londoner Timest [21] attackierte das Buch anonym und griff dabei auf eine Methode zurück, wie wir sie schon von der Kampagne gegen Welten im Zusammenstoß in Amerika her kennen: Das Buch wurde zusammen mit einem anderen von zweifelhaftem Wert besprochen, und man implizierte dadurch in der Kritik, Velikovskys Buch habe das gleiche niedere Niveau.

Zehn Jahre nach dem jähen Abbruch von Atwaters Plan, Welten im Zusammenstoß im Hayden-Planetarium darzustellen, wurde die amerikanische Raumsonde Pioneer V in den Weltraum geschossen. Dieses Experiment sollte dazu dienen, die Idee zu widerlegen, die Erde und die übrigen Planeten seien in einem quasi luftleeren Raum elektromagnetisch isoliert, eine Position, auf der Einstein noch geglaubt hatte beharren zu müssen. Ungefähr 6 Wochen war Pioneer V auf seiner Umlaufbahn um die Sonne, da berief die NASA eine Pressekonferenz ein, auf der über die Entdeckungen berichtet wurde. Newsweek schrieb in der Ausgabe vom 9. Mai 1960: »In einer aufregenden Woche hat der Mensch mehr über die Bereiche des Weltraums in der Nähe der Erde gelernt als in den letzten 50 Jahren zusammen. Es ist endgültig vorbei mit jeglicher irdischen Vorstellung, der Weltraum sei eine bequeme Fahrstraße für Weltraumfahrer ... Das Verkehrsaufkommen ist enorm: Heiße Gaswolken, tödliche Strahlen, Bündel von Elektrizität flitzen vorüber, kreisen, überschneiden sich, kollidieren.« Unter anderem schreibt man Pioneer V die Entdeckung zu, daß überall im Weltraum Magnetfelder vorhanden sind, daß elektrische Ströme die Erde umgeben und daß es aufgrund von Schwankungen in der Sonnenhelligkeit im Weltraum energiegeladene Partikel gibt.

Auf Einladung von Professor Hess, dem daran gelegen war, seinen Studenten auch einmal die Ansichten eines Andersdenkenden vorzustellen, sprach Velikovsky zwischen 1954 und 1960 verschiedentlich vor Studenten und Dozenten des Geologischen Instituts der Princeton University. Am 12. April 1961 hielt er vor dem Graduate College Forum einen Vortrag, dieses Mal über das Thema: »Wieviel von der großen Ketzerei von 1950 gilt in der Wissenschaft 1961 als gesicherte Tatsachen?«. Er bot darin eine lange Liste von Entdeckungen aus den Gebieten der Astronomie und der Geowissenschaften. Noch im selben Monat erklärten Radioastronomen, die Venus müsse eine Bodentemperatur von circa 315° C haben. Und die Naturwissenschaftler schickten sich an, energisch nach einer »akzeptablen« Erklärung für diesen neuen Aspekt des Sonnensystems zu suchen.

Gegen Ende des Jahres 1962, um die Zeit herum, als Mariner II sich der Venus näherte, schrieben V. Bargmann, Physiker an der Princeton University, und Lloyd Motz, Astronom an der Columbia University, gemeinsam einen Brief an den Herausgeber von Science. [22] Sie wiesen darauf hin, daß Velikovsky als erster drei scheinbar unzusammenhängende Voraussagen über das Sonnensystem gemacht habe: über die weite Ausdehnung der Magnetosphäre der Erde, Radiostrahlung vom Jupiter und extrem höhe Temperatur der Venus. Und diese drei hätten zu den wesentlichsten und überraschendsten Entdeckungen der jüngsten Zeit gehört. Sie forderten die Wissenschaftler nachdrücklich dazu auf, die Theorien Velikovskys objektiv zu prüfen.

In dieser Zeit wurde auch berichtet [23], radiometrische Beobachtungen des Forschungslaboratoriums der US-Marine und der Verfolgungsstation in Goldstone in Kalifornien hätten gezeigt, daß die Venus eine langsame retrograde Rotation habe, ein Merkmal, das sie von allen anderen Planeten unterscheide.

Velikovsky fühlte sich durch diese Entwicklungen bestätigt, und der Brief von Bargmann und Motz an die Zeitschrift Science machte ihm Mut, einen Aufsatz zu publizieren, der nachwies, die in dem Brief berührten Punkte seien nur ein paar von den vielen Ideen, die er in seinen Büchern dargestellt habe und die durch unabhängige Forschung erwiesen worden seien. Der Versuch blieb ohne Erfolg; Philip Abelson, der Herausgeber von Science, schickte Velikovsky das Manuskript ungelesen zurück. Statt dessen veröffentlichte er einen spöttischen Brief von einem gewissen Poul Anderson, der behauptete, »die zufällige Anwesenheit von einem oder zwei guten Äpfeln mache kein Faß voller schlechter wett«.

Die Ergebnisse von Mariner II bestätigten Velikovskys Erwartungen; sie bewiesen, daß die Oberflächentemperatur der Venus mindestens 425°C betrage, und daß ihre etwa 25 km dicke atmosphärische Hülle nicht, wie man früher angenommen hatte, aus Kohlendioxyd oder Wasser, sondern aus schweren Kohlenwasserstoffmolekülen und vielleicht auch noch aus komplizierteren organischen Verbindungen bestehe.

Die retrograde Rotation der Venus, organische Moleküle in ihrer Hülle und ihre extreme Hitze finden keine überzeugende Erklärung, obwohl schon so viel darüber nachgedacht worden ist; doch wurden in Welten im Zusammenstoß zwei dieser Phänomene als entscheidend für die These postuliert, die Venus sei ein junger Planet mit einer kurzen und turbulenten Geschichte, und die dritte (anomale Rotation) erhärtet diese Schlüsse.

Trotz des lautstarken Protests gegen den Ketzer Velikovsky haben seine Bücher in allen Ländern der Erde eine begeisterte Leserschaft gefunden. Hier und dort haben sich kleine Studiengruppen gebildet; seine Bücher gehören für die Kurse an manchen Universitäten zur Pflichtlektüre. Begeisterte Leser schrieben an den Autor in all den Jahren seit Erscheinen von Welten im Zusammenstoß. Die englische Ausgabe dieses Buchs erscheint jetzt in weit über 20 Auflagen, und die amerikanische wird laufend nachgedruckt. Die deutsche Ausgabe erreichte beim ersten Verlag fünf Auflagen. Dann, 1952, wandten sich kirchlich-historische Kreise dagegen und unterdrückten es. Nach über 25 Jahren wurde es 1978 wieder aufgelegt.

Selten sind in der Geschichte der Naturwissenschaft so viele verschiedene Vorwegnahmen- als natürliche Folge eines einzigen zentralen Gedankens - so rasch von der unabhängigen Forschung bestätigt worden.

Nacheinander sind Velikovskys »wilde Hypothesen« empirisch erhärtet worden. Aber erst in dem Brief von Bargmann und Motz an Science im Dezember 1962 wurde sein Name in einer wissenschaftlichen Zeitschrift in einem Atemzug mit jeder der erstaunlichen Entdeckungen genannt, aber noch nie von jenen, die diese Entdeckungen gemacht haben. Nach einer oft wiederholten Platitüde muß jemand, der so viele Voraussagen wie Velikovsky gemacht hat, hie und da einmal recht behalten. Aber es muß erst noch bewiesen werden, daß irgendeine seiner Ansichten falsch ist. Professor H. H. Hess, der damals Vorsitzender der Abteilung Weltraumforschung der National Academy of Science war, schrieb an Velikovsky: »Als Sie einige dieser Voraussagen machten, galten sie als unmöglich. Alle wurden gemacht, lange bevor es Beweise für ihre Richtigkeit gab. Umgekehrt kenne ich keine Voraussage von Ihnen, die sich seither als falsch erwiesen hat.«

Dieser Bericht müßte eigentlich Anlaß geben, sich einmal länger und sorgfältiger mit Welten im Zusammenstoß zu befassen. Dies gilt ganz besonders für die Leute, die es nicht nur früher verdammt haben, ohne es zu lesen, sondern sich aktiv an einer Diffamierungskampagne gegen den Autor beteiligt haben.




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