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Alfred de Grazia:
(Herausgeber)


Die Velikovsky Affäre


Livio C. Stecchini

Psychologische Prämissen

Aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung als Psychoanalytiker konnte Velikovsky durchschauen, daß die Menschen dazu neigen, alle Überlieferungen und Berichte von kosmischen Katastrophen ins Reich der Fabel zu verweisen. Selbst Fundamentalisten nehmen das, was klipp und klar in der Bibel steht, die sie doch vorgeblich nach dem Buchstaben interpretieren, nicht für bare Münze.

Ein paar hundert Jahre nach der letzten Katastrophe, wie Velikovskys These sie datiert, bemühte sich Aristoteles, die Kosmologie Heraklits zu widerlegen. Als andere Dichter seiner Zeit, wie z. B. Lukrez und Ovid, genau beschrieben, was sich ereignet hatte, behauptete Cicero noch: ita stabilis mundus est atque ita cohaeret ad permanendum, ut nihil ne excogitari quidem aptius possit - das Weltall ist so fest gegründet und hängt so zusammen, daß man sich für seinen Fortbestand einfach nichts Zweckmäßigeres aussinnen kann [4]. Planeten sind Götter, und kraft ihrer göttlichen Natur halten sie eine vollkommene und unabänderliche Ordnung ein. In einem anderen Abschnitt entwickelt Cicero den gleichen Gedanken in Worten, die zu einem Glaubensbekenntnis sowohl für die mittelalterlichen scholastischen Naturphilosophen, wie auch, was ich nachweisen werde, für die Anhänger Newtons wurden:

Es gibt am Himmel also weder Zufall noch Willkür noch Irrtum noch Unzuverlässigkeit, sondern im Gegenteil lauter Ordnung, Wahrheit, genaue Berechnung und Beständigkeit... Wer also meint, diese wunderbare Ordnung und kaum glaubliche Regelmäßigkeit am Himmel, aus der sich die gesamte Erhaltung und die Sicherheit all dieser Körper ergibt, sei ohne einen ihr zugrunde liegenden Verständ, dem muß man selbst jeden Verstand absprechen. [5]

Aber das war eine Abkehr vom alten Glauben an die Theomachie, den Kampf unter den Planetengöttern. Kritias, der Vetter von Platos Mutter, betonte in seinem Drama Sisyphos das Gegenteil, daß nämlich der Glaube an die planetarischen Götter mit den ärgsten aller menschlichen Schrecken verknüpft sei. Er wurde darin von Demokrit und seinem Anhang gestützt. Das folgende Zitat erläutert auch die Frage, mit der ich mich weiter unten beschäftigen werde, die Anordnung der Himmelskörper gelte als Grundlage der menschlichen Ethik:

Es wohnten aber, sagte er (Sisyphos), die Götter an einem Ort, dessen Benennung die Menschen am meisten erschrecken mußte, woher, wie er erkannte, die Ängste den Sterblichen kommen und die Hilfe für ihr mühselig Leben, aus dem sich drehenden Gewölbe dort oben, wo er die Blitze wahrnahm und das furchtbare Donnergetöse und den Sternäugigen Himmelsbau, der Zeit, des wahren Baumeisters, schönstes Bauwerk, wo die strahlende Masse des Sonnengestirnes wandelt, und von wo der feuchte Regen zur Erde herabkommt. Und rings um die Menschen stellte er solche Schrecken, durch die er in seiner Rede der Gottheit eine schöne Wohnung gab und an einem geziemenden Ort, und er löschte die Gesetzlosigkeit durch die Satzungen [6].

Moderne Autoren haben den gleichen Verdacht. Das erste Kapitel von John Deweys Buch The Quest for Certainty (1929) trägt den Titel »Wege aus der Gefahr«. Er behauptet, Angst sei die Triebfeder für die Suche nach unveränderlichen vollkommenen Dingen, nach der Verherrlichung von Regelmäßigkeit und Beständigkeit auf Kosten der Mannigfaltigkeit und der Abwechslung. Dadurch, daß Aristoteles den Glauben an die Himmelskörper als Götter rational erklärte und sie zu Symbolen eines (physisch und moralisch) höheren Reiches machte, begründete er die klassische Naturwissenschaft.

Ähnlich fragte Freud [7], auf welchen Fundamenten der Mensch das Gefühl der Sicherheit gründet, mit dem er sich gegen »die Wechselfälle des Lebens wappnet«. Als Antwort sagt er: »Ich erinnere Sie an den berühmten Ausspruch Kants, der den gestirnten Himmel und das Sittengesetz in unserer Brust in einem Atem nennt. So befremdend diese Zusammenstellung klingt - denn was mögen die Himmelskörper mit der Frage zu tun haben, ob ein Menschenkind ein anderes liebt oder totschlägt? - , so streift sie doch an eine große psychologische Wahrheit.«

Der Absatz aus Kant (1724-1804), auf den Freud sich bezieht, ist der Schlußsatz der Kritik der praktischen Vernunft:

Zwei Dinge erfüllen das Gemüth mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.

Aber erfüllt der gestirnte Himmel uns zu Recht mit einem Gefühl der Stabilität, während er den antiken Menschen eine alles durchdringende Angst einflößte?






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