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Alfred de Grazia:
(Herausgeber)


Die Velikovsky Affäre


Alfred de Grazia

Die Kontrolle der Wissenschaft


Die wissenschaftlichen Vereine gehören immer noch zu den primitiven und nicht ausgereiften Mechanismen des modernen Lebens. Der Jahreskongreß der American Association for the Advancement of Science hat mit der Förderung der Wissenschaften vielleicht ebensoviel zu tun wie eine in irgendeinem Staat der USA stattfindende landwirtschaftliche Ausstellung mit der Entwicklung der Landwirtschaft, jedenfalls nicht mehr. Und doch ist das nicht untypisch für die wissenschaftlichen Vereine.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt und vielleicht auf die Dauer sollte die Erkenntnis, daß Wissenschaftler sich nicht von rationalen Prinzipien leiten lassen, dazu führen, daß man sich, um die Freiheit der Wissenschaft zu fördern, überholter Modelle bedient. Beispielsweise sind vielleicht die teilweise unabhängigen wissenschaftlichen Institutionen, die aus nationaler Eigenbrötelei herstammen, einer einzigen internationalen Institution, die zur Durchsetzung ihrer Ziele über gewisse Machtmittel verfügt, vorzuziehen.

Aus den gleichen Gründen ist eine Unterstützung von vielen Seiten für wissenschaftliche Bemühungen wünschenswert. Eine Vielzahl von Stiftungen, wissenschaftlichen Vereinen, wohldotierten Universitäten und anderen Hilfsorganisationen mag kostspielig erscheinen, aber in Wirklichkeit führt sie durch verstärkte Initiative und unterschiedliche Entwicklungstätigkeit zu größerer Effektivität. In diesem Zusammenhang darf man die Rolle nichtstaatlicher Forschungs- und Entwicklungsgesellschaften und von unabhängigen Verlagen nicht unterschätzen.

Die Frage stellt sich, ob die bestehenden Institutionen überhaupt das geringste Recht haben, berufsfremde Betätigungen von Angehörigen ihres Berufsstandes zu untersuchen und zu sanktionieren. Zwei Arten von Problemen tauchen auf: Fragen der Moral und die Frage, ob etwas wissenschaftlich begründet ist oder nicht. Die meisten Wissenschaftler der heutigen Zeit und auch die Allgemeinheit glauben, die Freiheit der Wissenschaft werde dadurch erreicht, daß man außenstehenden Nichtfachleuten verbietet, über Fragen des Berufsethos und der wissenschaftlichen Wahrheit zu befinden. Nachforschungen weist man von sich. Gerichtliche Untersuchungen sind gar nicht gern gesehen. Das beträchtliche Talent von Juristen und Medizinern zur Selbstverwaltung ist ihrer Ansicht nach mit Wissenschaft nicht vereinbar.

Gibt es keine Instanz, an die ein Wissenschaftler sich wenden kann, wenn durch die hier beschriebenen Methoden sein Ruf gelitten hat? Vielleicht hat die Harvard University innerhalb ihrer Grenzen das Recht, das wissenschaftliche Verhalten ihres Lehrkörpers zu untersuchen. Ihre Vertreter könnten »nach Lage der Dinge« zur Überzeugung kommen, daß ein oder mehrere Angehörige ihres Lehrkörpers in ihrer wissenschaftlichen Arbeit so nachlässig und einseitig negativ gewesen sind, daß sie die Mindestanforderungen wissenschaftlicher Befähigung nicht erfüllt haben. Abhilfemaßnahmen könnten die Folge sein, wie zum Beispiel die Aufforderung, sich zu entschuldigen, erneute Prüfung, öffentliche Diskussionen, Suspendierung, öffentliche Rüge, Rücktritt oder Entlassung. Unterbleiben solche Maßnahmen, kann man dann sagen, eine Universität übernehme vor sich selbst und vor der Gesellschaft die Verantwortung für die Auswirkungen eines solchen Vorgehens im Namen der Gesellschaft und der Wissenschaft?

Wissenschaftliche Vereine könnten ein gleiches tun. Ihre Sanktionen sind vielleicht weniger schwer, ihre Verantwortung ist darum nicht weniger groß. Sie könnten ihren Wirkungsbereich so weit ausdehnen, daß er die Aufforderung zu einer Entschuldigung, Anhörung, öffentliche Diskussion - mündlich oder schriftlich in Fachorganen -, zeitweilige Aussetzung oder Aberkennung der Mitgliedschaft umfaßt.

Ein solches Verfahren, wie wir es uns vorstellen, könnte leicht ins Gegenteil umschlagen. Der Ketzer wird in den meisten Fällen zum Angeklagten und nicht zum Kläger werden. Die einfachen Mitglieder werden vermutlich ihren Führern mehr Glauben schenken als dem Andersdenkenden. Man muß deshalb prüfen, wie ein solches Anhörungsverfahren unabhängig von der Gesamtorganisation durchgeführt werden kann und wie seine Ergebnisse sich durchsetzen lassen. Das wäre dann ähnlich wie ein Zivilprozeß vor einem unabhängigen Gericht.

Es erhebt sich die Frage, ob sich die Allgemeinheit in die Angelegenheiten der Wissenschaft überhaupt einmischen soll. Das Engagement der Öffentlichkeit im Fall Velikovsky war nicht unerheblich. Viel bedeutendes Wissen ist dabei zutage getreten. Dahinter steht die Sorge der Öffentlichkeit darüber, wie wissenschaftlich Wissenschaftler nun eigentlich sind. Und die Bildung, die der Jugend vermittelt wird, ist eine Sache des öffentlichen Interesses. Es ist auch von Belang, daß alljährlich ein Teil der finanziellen Mittel des Landes in die Lösung technischer Probleme fließt, von denen einige eng mit der Sicherheit des Landes zusammenhängen. Wenn das öffentliche Interesse da ist, zu welchen Mitteln soll man greifen - Untersuchungen durch den Kongreß, ein internationaler Wissenschaftsrat für Beschwerden, ein Kongreß der wissenschaftlichen Vereine mit einem Rechtsausschuß?

Solche Fragen sind Anlaß zu intensivem Nachdenken und zur Schaffung neuer Verfahrensweisen. Es ist die Überzeugung des Verfassers, daß neue Einrichtungen für Anhörung und Berichterstattung geschaffen werden sollten, für Gesellschaften wie auch für Überwachungsorgane, die mit Vertretern der Wissenschaft, des öffentlichen Lebens und der Regierung besetzt sind. Legislative und Exekutive sollten dabei weitestgehend ausgeschaltet werden, aber quasi-gesetzgebende Körperschaften sollten gefördert werden. Für gewöhnlich sind Wissenschaftler sehr sensibel. Ein milder Tadel und die damit verbundene Verlegenheit wirken Wunder.

Zu diesen Schlußfolgerungen sind wir also gekommen. Sie sind genauso weit von den ursprünglichen Anlässen zum Fall Velikovsky entfernt wie dessen astronomische, geologische und historische Schlüsse von seiner ursprünglichen Ansicht, Freud habe Echnaton mißdeutet.

Immanuel Velikovsky legte eine Theorie von ungeheurer Wichtigkeit für die Synthese der verschiedenen Zweige der Wissenschaft vor. Er ordnete die klassische Chronologie neu. Aus alten Quellen, die die Wissenschaft als unergiebig beiseite gelassen hatte, gewann er wesentliche Wahrheiten. Tiefgreifende Erfahrungen der Vorväter werden neu entdeckt. Er hat uns damit ein neues Verständnis für die Natur des Menschen geschenkt. Er hat nachgewiesen, daß die heutige Ordnung des Sonnensystems noch jung ist und daß darin Kräfte herrschen, von denen man vorher nichts gewußt hat. Er hat große Teile der Darwinschen Evolutionstheorie umgestoßen. Er hat einige der Haupttheorien der Geologie als falsch erwiesen und dafür einen Ersatz geboten. Er hat einen leeren Weltraum vorgefunden und hat ihn ausgefüllt.

Viele seiner Wahrheiten waren auf den Nebenwegen der Wissenschaft verstreut. Als Teilinformationen und bruchstückhafte Theorien hatten sie für viele Natur- und Geisteswissenschaftler wenig oder überhaupt keine Bedeutung. Mit einer ungewöhnlichen Vorstellungskraft und höchstem Geschick hat er sie zu Theorien von großer Tragweite, Dichte und Einheitlichkeit verschmolzen. Während seine Ideen durchaus nicht über der Kritik stehen, steht er selbst mit seinen Theorien über Kosmogonie in einer Reihe mit Plato, Thomas von Aquin, Giordano Bruno, Descartes, Newton und Kant. Im allgemeinen ist es Pflicht des Wissenschaftskritikers, die normalen Wissenschaftler oder sogar solche, die einen Irrweg beschritten haben, in Schutz zu nehmen. Hier bietet sich ihnen Gelegenheit, für einen der großen Weisen unserer Zeit einzutreten.




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