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Alfred de Grazia:
(Herausgeber)


Die Velikovsky Affäre


Alfred de Grazia

Wirtschaftliche und politische Einflüsse


Die Taktik, innerhalb des wissenschaftlichen Establishments die Macht zu erweitern, besteht darin, von außen her noch weitere Macht zusätzlich ins Spiel zu bringen. Im Fall Velikovsky waren dies ganz offensichtlich Wirtschaft und Politik.

Im folgenden zitieren wir Dr. Velikovskys Niederschrift über das entscheidende Gespräch zwischen ihm und dem Leiter des Verlags Macmillan, in dem dieser ihn bat, Macmillan von der Verpflichtung zu entbinden, Welten im Zusammenstoß weiterhin in seinem Programm zu haben. Mr. Brett sagte:

70 % des gesamten Umsatzes unseres Verlags machen Lehrbücher aus; sie sind das eigentliche finanzielle Rückgrat unserer Firma. Deshalb sind wir verletzlich. Professoren an gewissen Universitäten haben sich geweigert, unsere Vertreter zu empfangen. Wir haben eine Reihe von Briefen erhalten, die uns den Boykott aller unserer Lehrbücher androhen. Machen Sie sich bitte klar, wie das funktioniert. (An dieser Stelle nahm Mr. Brett einen Bleistift und zeichnete einige Kreise.) Akademische Kreise sind keine isolierten Gruppen; sie sind auf lokaler Ebene zu Organisationen zusammengeschlossen oder in Berufsverbänden, die wiederum in größeren nationalen Organisationen aufgehen oder in ihnen vertreten sind. (Und er zeichnete größere Kreise.) Die American Association for the Advancement of Science in Washington, die American Philosophical Society und die National Academy of Science sind Gruppen von nationaler Bedeutung, in der Wissenschaftler aus vielen Bereichen vertreten sind. Auf diese Weise kann sich der akademische Druck noch weiter ausbreiten.

Das Gespräch nimmt seinen Fortgang und wird schwieriger. Velikovsky notiert weiter:

Mr. Brett war zwar sehr höflich und versuchte sogar, liebenswürdig zu sein, aber er hielt endgültig an seiner Entscheidung fest, sein Haus von einem Buch, das den Zorn der Mächtigen auf dem Lehrbuchsektor erregte, zu befreien. Wieder zeichnete er ein Muster aus Kreisen, um mir zu zeigen, wie die wissenschaftlichen Gruppierungen miteinander verflochten sind, wo ihr Schwerpunkt liegt und auf welche Weise sie ein Verlagshaus schädigen können.

Das am leichtesten zugängliche wirtschaftliche Zwangsmittel des wissenschaftlichen Establishments ist der »Boykott«. Es ist bekannt, aber diese Tatsache wird noch nicht richtig eingeschätzt, daß die führenden Köpfe auf wissenschaftlichem Gebiet in dreifacher Hinsicht auf Verlage Einfluß nehmen können. Sie sind Verfasser oder Gönner der führenden Werke auf diesem Gebiet. Sie beeinflussen die Meinung über Bücher; das wirkt sich auf die Verkaufsziffern aus. Und sie, ihre Untergebenen und ihre Freunde an anderen Universitäten kaufen einen wesentlichen Teil der wissenschaftlichen Lehrbücher und des Studienmaterials, das den Universitätskursen zugrunde liegt und Pflichtlektüre ist. Wenn ein Verlagsvertreter die Türen zu den Häusern der Mächtigen verschlossen findet, dann ist das mehr als Erpressung - es kann den wirtschaftlichen Ruin bedeuten.

Das Establishment handelte schnell und gezielt, um die Unterstützung Velikovskys durch Wissenschaftler zu unterbinden und das Buch und seinen Verleger zu boykottieren. Folgendes steht in einem Brief Shapleys an den Verlag Macmillan, wohlgemerkt, noch vor der Veröffentlichung des Buchs:

Offen gesagt, wenn Sie mir nicht versichern können, daß solches ohne Schaden in der Vergangenheit schon öfter passiert ist, so muß ich aufgrund dieser Veröffentlichung der Firma Macmillan alle Geschäftsbeziehungen aufkündigen.

Und einen Monat später, am 20. Februar- immer noch vor Erscheinen des Buchs -, schrieb Shapley an den Herausgeber des Compass, Ted Thackrey:

In meiner langen Erfahrung als Wissenschaftler ist dies der erfolgreichste Schwindel gewesen, den man mit führenden amerikanischen Publikationen gemacht hat . . . Ich bin mir noch nicht ganz klar darüber, ob Macmillan das Buch verlegt, denn dieser Verlag hat den vielleicht besten Ruf auf dem Sektor wissenschaftlicher Literatur.

Das Buch erschien, nachdem es die Hürde der Zensur, die Mr. Brett aufbaute, genommen hatte. Aber der Druck hielt an. Macmillan setzte durch, daß Velikovsky die Firma aus dem Vertrag entließ. Man bot ihm einen Vertrag mit Doubleday an (das Buch führte mit über 50 000 verkauften Exemplaren die Bestsellerliste an), und man machte ihm plausibel, der Verlag habe keine andere Wahl, wenn für das Buch Werbung gemacht und es verkauft werden solle. In Wirklichkeit hatte der Verlag die Werbung für das Buch bereits eingestellt. Wie jeder, der mit Büchern zu tun hat, weiß, hätte man daraus den Tatbestand des Vertragsbruchs konstruieren können.

Weitere Briefe zeigten deutlich, wie die Operation Boykott verlaufen sollte. D. B. McLaughlin, Astronom an der Universität von Michigan, sagte in einem Brief vom 16. Juni 1950 an Fulton Oursler von Reader's Digest:

Welten im Zusammenstoß ist eben in andere Hände übergegangen; Macmillan hat es an Doubleday verkauft. Ich gebe gern zu, daß an diesem Wechsel der Druck schuld war, den Natur- und Geisteswissenschaftler auf die Firma Macmillan ausgeübt haben. Es ist unsere Pflicht der öffentlichkeit gegenüber, solchen Schwindel zu unterbinden, soweit es in unserer Macht steht.

Paul Herget, Professor für Astronomie an der Universität Cincinnati und Direktor des dortigen Observatoriums, schrieb Anfang Juli 1950 an den Kolumnisten Sokolsky:

Ich glaube nicht, daß man in ihm [Shapley] den Drahtzieher bei dieser Kampagne sehen kann. Ich selber habe kräftig mitgemischt . . . . Zu Ihrer Kenntnisnahme lege ich die Durchschläge einiger Briefe bei.

Nach dem Übergang der Verlagsrechte auf Doubleday schoß man sich auf diese Firma ein. Am 30. Juni 1950 schrieb David C. Grahame, Außerordentlicher Professor für Chemie am Amherst College (Mass.):

Macmillan ließ es [Welten im Zusammenstoß] fallen, denn es entfachte einen Proteststurm unter den informierten Leuten. Es wäre durchaus möglich, daß auch Sie eines Tages mit der Beantwortung empörter Briefe von Wissenschaftlern überall im Lande alle Hände voll zu tun haben. Die Wissenschaftler führen zur Zeit einen Boykott der Bücher von Macmillan durch. Obwohl Wissenschaftler keine sehr erhebliche Rolle in ihren Verkaufsziffern spielen: Ein Verleger eines angeblich wissenschaftlichen Buchs sollte doch auf sie hören. Ich nehme an, Sie sind von Ihrem Vorhaben noch abzubringen.

Die Gruppe an der Harvard University gab nicht nach. Professor Fred L. Whipple, Shapleys Oberassistent und sein späterer Nachfolger als Direktor des Harvard-College-Observatoriums, trat gegen Doubleday an. Am 30. Juni 1950 schrieb er an die Firma Blakiston, wo sein Buch Earth, Moon and Planets erschienen war. Er kommentiert in seinem Brief einen Artikel über den Fall Velikovsky, der soeben unter der Überschrift »Professoren als Unterdrücker« im Magazin Newsweek stand:

Newsweek hat unabsichtlich der Firma Doubleday erheblich geschadet. Sie haben den enormen Erfolg des spontanen Boykotts der Firma Macmillan durch Leute, denen die Wissenschaft etwas bedeutet, publik gemacht. Das ist beinahe ein Aufruf zum Boykott der Firma Doubleday durch Leute, die denken können und Bücher kaufen. Ich nehme an, die Bände 3 und 4 werden nicht bei Doubleday erscheinen . . . [21] Auf jeden Fall, da, glaube ich, die Firma Blakiston zum Doubleday-Konzern gehört, die beim Verlagsprogramm ein Wörtchen mitzureden hat und bei der der Vertrieb liegt, wäre ich als Autor bei der Firma Douhleday ein Kollege Velikovskys. Wenn es nach mir ginge, würde ich mein Buch Earth, Moon and Planets zurückziehen und einen neuen Verleger dafür suchen, der nicht mit jemandem assoziiert ist, dessen Verlagsmoral derart unterentwickelt ist.

Er werde, so erklärte er, die Tantiemen aus seinem Buch wohltätigen Zwecken stiften und das Buch nicht mehr überarbeiten. Tatsächlich erschien die ganze populärwissenschaftliche Buchreihe der Harvard University über Astronomie nicht mehr bei Blakiston.

Es ist völlig unklar, ob außer wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Einflüssen auch politischer Einfluß vorlag. Es mag sogar riskant erscheinen, ein so heißes Eisen anzufassen. (Vielleicht würde man es sogar tun, wenn es nur um Demokraten oder nur um Republikaner ginge.) Und doch läßt das Beweismaterial den Schluß zu, ein inoffizieller Einfluß von links könnte mit im Spiel gewesen sein. Das könnte erklären, warum Professor Shapley und einige seiner Freunde so heftig reagierten und eine so hektische Betriebsamkeit an den Tag legten. Staatliche Stellen forschten zu dieser Zeit Professor Shapleys politischen Verbindungen nach. Die »normalen« Bedrohungen, die in Velikovskys Buch steckten, könnten durch die politischen Angriffe auf Shapley intensiviert worden sein. Velikovsky hätte dann ein bequemes und recht hilfloses Ziel für abgelenkte Aggressionen abgegeben.

Doch Shapley stand nicht allein. Er hatte die Unterstützung anderer Leute, die unter dem gleichen politischen Druck standen wie er, beispielsweise Kirtley Mather und Edward U. Condon. Lenkten sie alle Aggressionen ab? War der britische Evolutionist J. B. S. Haldane, mehrere tausend Kilometer entfernt, auch ein Opfer der kollektiven Unruhe? In Großbritannien und auf dem Kontinent wurde Welten im Zusammenstoß anders aufgenommen. Viele lehnten es ab, machten es aber nicht schlecht. Andererseits ließ Haldane, ein alter Freund und Gesinnungsgenosse von Shapley, gegen Velikovsky eine Hetzschrift los, die ihresgleichen sucht. Er stellte darin einen Zusammenhang her zwischen Velikovsky und den Amerikanern, die Großbritannien in einem Atomkrieg als Stützpunkt hernehmen wollten.

Wenn man einen politischen Einfluß annehmen will, so kann es dafür verschiedene Gründe geben. Man könnte annehmen, Velikovsky wolle mit seinem Buch für jüdischen Nationalismus eintreten. Man könnte es für eine Apologie des Fundamentalismus halten. Es könnte als antimaterialistisch, antideterministisch und obskurantistisch gelten. Ein Angriff auf das Werk könnte einem politischen Apparat samt seinen angeschlossenen Organisationen die nötige Gelegenheit zu Manövern bieten oder, mehr noch, einen dringend notwendigen Sieg im Augenblick ihres Tiefstandes. Der Konflikt könnte zudem noch dazu dienen, harmlose Sympathisanten, denen man einredet, es gehe um eine gemeinsame Sache der Wissenschaft, an die Gruppe zu binden.

Das ist Vermutung, aber es wäre nicht richtig, diese Gedanken ganz aus der Überlegung auszuklammern, selbst wenn man sich dadurch solche Leser zu Feinden macht, die bis jetzt unserer Darstellung willig gefolgt sind. Als weiteres Beispiel diene eine kuriose Begebenheit, die am besten in die Rubrik politischer Einfluß eingeordnet werden kann.

Shapley gehörte einer Gruppe auf der äußersten Linken engagierter Progressiver an, die nach dem Zusammenbruch der New Yorker Zeitschrift PM für ihre Nachfolgerin Compass eintrat. Am 19. Februar 1950 wurde darin der Artikel aus Harper's Magazine über Velikovskys Buch nachgedruckt. Es war eben der Artikel, der noch vor Erscheinen des Buchs bei der Harvard-Gruppe eine spontane feindliche Reaktion ausgelöst hatte. Am 20. Februar schrieb Harlow Shapley auf dem offiziellen Briefpapier des Harvard-College-Observatoriums an Ted Thackrey, den Herausgeber des Compass.

»Lieber Ted«, fing er an, »irgend jemand hat Sie verarscht.« Der Rest des Briefs bestand aus Schmeicheleien gegenüber Thackrey und abfälligen Bemerkungen über Velikovsky. Welten im Zusammenstoß sei ein »aufgelegter Schwindel«, »Blödsinn« und »astrologischer Hokuspokus«. Einstein las den Brief später, und er schrieb an den Rand: Schändlich!

Doch Thackrey gab nicht klein bei und schickte eine geharnischte Antwort. Er vertrat darin das rationalistische Ideal und warf Shapley vor, er versuche, Velikovskys Buch zu unterdrücken. Weitere Briefe folgten. Dem Compass war kein langes Leben beschieden. Thackreys Ansichten zu Fragen wie Koreakrieg erregten die tödliche Opposition von Kommunisten und ihren Mitläufern. Schließlich zogen die wichtigsten Geldgeber ihre finanzielle Hilfe zurück, und der Compass mußte sein Erscheinen einstellen.

Aber die Hauptschlacht wurde nicht auf den Kriegsschauplätzen Geschäft und Politik ausgefochten, sondern innerhalb der Mauern der Wissenschaft. Zudem war es eindeutig ein Kampf aller gegen einen. Die Hierarchen standen zusammen. Es gab keine Revolte. Und man endete nicht im Parteienhader, wie es so oft geschieht, wenn Leute entweder keinen Platz in einem Machtsystem bekommen oder diesen Platz wieder verlieren. Keine Clique innerhalb der Wissenschaft versuchte, im Namen des Rationalismus ihre Interessen, Theorien und Wahrheiten an die Stelle der herrschenden zu setzen.

Man erkennt eine andere Art von Machtstreben innerhalb der Dynamik dieses Modells. Dr. Velikovsky hatte mehr von einem Gelehrten im Elfenbeinturm an sich als von einem Hierarchen, von einem Verfechter irgendeiner Heilslehre oder von einem Aufrührer. Nach diesem Modell kann nur ein von einer Idee besessener Wissenschaftler mit einer kleinen Schar von Jüngern sich wissenschaftliche Anerkennung erzwingen: Sie stiften Unruhe, die man einfach zur Kenntnis nehmen muß. Das Ganze ist das Bild eines Machtkampfs, in dem die Chancen für Neuerungen sehr gering sind, die Hingabe des Neuerers an die Wahrheit aber unendlich groß ist.

Am Ende entscheiden der Ausgang des Machtkampfs und nicht rationalistische Tests darüber, ob die Wahrheit anerkannt wird oder nicht. Genauso wie ein Soldat oder ein Bürokrat sein Erstaunen darüber ausdrückt, in welch gigantischem Maß der kollektive Organismus Irrationalität und Unfähigkeit absorbieren kann, muß ein Wissenschaftler, der auch nur einen Funken historischer Perspektive hat, darüber schockiert sein, wie oft die Macht bestimmt, welches die Gesetze des Verhaltens von Mensch und Natur »sind«, und wie die Wissenschaft dabei überleben kann.




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